Rosentod: Thriller (German Edition)
macht kehrt und rennt die Treppe hoch. Es dauerte eine ganze Weile, bis er ihr folgt.
„Habe ich was falsch gemacht?“, fragt er.
„Du nicht. Ich“, entschuldigt sie sich und tastet sich im Rückwärtsgang bis an die Tür. „Tut mir leid.“
„Schon gut. Warte doch.“
„Nein, nein. Ich muss jetzt los.“
Vor dem Haus noch ein paar belanglose Worte. Ein kurzer Abschiedsgruß. Schon wendet sie sich ab.
Dann, im Auto, macht sie sich Vorwürfe, die sich mit zunehmender Distanz zwischen ihr und Joe sprunghaft steigern.
Im Journaldienstraum ist sie schließlich völlig aus dem Häuschen. Was wird der Mann bloß von ihr denken? Da kommt sie in sein Haus und schäkert, aber kaum wird es ernst, läuft sie davon. Ein Benehmen wie ein Backfisch! Wie peinlich.
Ein lautes Pochen an der Tür. Die Kollegen der Nachtstreife bringen ein 11-jähriges Mädchen, das von zu Hause ausgerissen ist, weil der es Stiefvater grün und blau geschlagen hat.
Dankbar für die Ablenkung, nimmt die Chefinspektorin mit dem Kind ein Protokoll auf, veranlasst die polizeiärztliche Untersuchung und lässt die Mutter der Kleinen zu den Anschuldigungen Stellung nehmen. Eine Stunde später muss das gewalttätige Familienoberhaupt unter polizeilicher Bedeckung sein Zeug aus der Wohnung holen und die Schlüssel abgeben. Zwei Wochen lang darf er sich Frau und Kind nicht mehr nähern.
Um Mitternacht versucht Ulla, Joe Maringer zu erreichen. Er hebt nicht ab. Auch nicht um eins, und später schon gar nicht. Der hat genug von ihr. Ist ja auch kein Wunder. Müde setzt sie sich vor den Fernseher, doch das ist auch nicht die Zerstreuung, nach der sie jetzt sucht.
Soll sie etwas lesen?
Wozu denn?
So leidet sie eine Weile still vor sich hin, ehe sie sich gegen zwei endlich schlafen legt, überzeugt davon, das blödeste Stück Weib zu sein, das dieser Planet je gesehen hat.
***
Kurz vor drei.
Maringer steht an der Bar des Moonlight und unterhält sich mit einer Mittvierzigerin. Rotes halblanges Haar, drall und durchaus sympathisch.
Eine geschiedene Lehrerin. Ihr Mann, ebenfalls Pädagoge, hatte etwas mit einer Kollegin. Wahnsinn, wie lange man nicht mitbekommt, was der Partner nebenbei so treibt. Die halbe Stadt lacht sich schon tot, ohne dass man das selbst so richtig spitzkriegt. So unsagbar böse ist die Welt. War sie wahrscheinlich immer schon.
Joe hört zu. Mit mäßigem Interesse. Seine Gedanken sind bei Ullas Haar und ihrer Haut. Ihr Parfum kann er jetzt immer noch riechen. Gedankenverloren fährt er sich mit den Kuppen seiner Finger über die Lippen, stellt sich ihren warmen, nassen Mund vor und fühlt sich mit einem Mal ganz schön verloren in dieser lauten Umgebung. Was sie jetzt wohl gerade macht? Schade, dass sie nicht geblieben ist.
„Du hörst mir ja gar nicht zu“, klagt das Scheidungsopfer ihm gegenüber und greift ihm auf den Schenkel.
„Doch, doch“, protestiert er und fragt sich, was bei einem derartigen Sittenverfall in der Lehrerschaft aus den Schülern dieses Landes noch werden soll.
Ob er verheiratet sei, will sie wissen. Die übliche Frage. Diesmal kommt sie ganz früh. Zu früh.
Verärgert schüttelt er den Kopf, spürt den vertrauten Schmerz und weiß, dass es genug ist. Immerhin prostet er ihr noch einmal lässig zu, ehe er austrinkt, zahlt und im Pulk verschwindet. Wortlos.
***
Inzwischen steht Judith Amras keine fünf Meter weiter an der Theke, bewegt ihr Becken im Rhythmus der Musik und trinkt ihren dritten Cocktail. Vor fünf Minuten telefonierte sie nach einem Taxi. Das müsste jetzt eigentlich bald da sein. Misstrauisch streicht sie mit dem Zeigefinger über den Rand ihres Cocktailglases. Irgendetwas hier gefällt ihr nicht. Was? Wenn sie das wüsste. Zerstreut schiebt sie der Kellnerin eine Banknote hin, nickt und geht.
Vor der Diskothek ist es kalt. Im schwarzen Minikleid und einem offenen roten Mantel taumelt eine junge Frau durch die Gegend. Die ist ganz schön dicht. So sehr, dass sie sich an der Motorhaube eines bulligen schwarzen Jeeps abstützen muss, um nicht hinzufallen. Judith fragt, ob sie helfen könne, erntet aber bloß ein mürrisches Kopfschütteln.
Während Judith noch mit dem betrunkenen Mädel beschäftigt ist, rollt hinter ihr ein weißer Mercedes aus einer Parklücke und kommt mit eingeschalteten Scheinwerfern auf die beiden Frauen zu. Erst im letzten Augenblick bemerkt die Studentin das Taxischild auf dem Dach des Fahrzeugs. Es ist unbeleuchtet, aber das fällt ihr nicht
Weitere Kostenlose Bücher