Rosentod: Thriller (German Edition)
Zufahrt zu den Abbauterrassen. Riesige Tieflader, Schubraupen und Bagger fahren hin und her. Die donnernden Motoren und das Mahlen der übermannshohen Reifen im feuchten, aber relativ gut befestigten Boden erlauben keine normale Kommunikation.
„Würde es auffallen, wenn hier jemand 23 Gesteinsbrocken sammelt und damit abhaut?“, schreit Ulla.
„Tagsüber schon“, brüllt der Techniker. „Während der Nacht kann ich hier aber für nichts garantieren. Da arbeitet bloß ein Viertel der Belegschaft. Auf dem obersten Plateau. Zwar wird der Sprengstoffbunker im Werksgelände ab und zu von einer Polizeistreife kontrolliert, aber das geschieht nur sporadisch. Kurz gesagt: Während der Dunkelheit ist hier vieles möglich.“
Der Mann mit dem weißen Arbeitshelm ist ein netter Kerl. Er fährt sie durchs gesamte Gelände und verspricht auch, seine Mitarbeiter zu befragen, ob ihnen in den letzten Wochen etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist. Eventuell hilft das ja.
Gestein wie ihr Beweisstück gibt es in rauen Mengen. Links und rechts neben der Straße und im unmittelbaren Abbaubereich. Ganze Haufen davon. Enttäuscht bedankt sich Ulla, gibt dem Ingenieur ihre Karte und zieht Leine.
Die Eisenkette fällt ihr ein. Ein kurzes Telefonat mit der Bezirksleitstelle und sie bekommt die Adressen der beiden Alteisenwarenhändler dieser Stadt. Bei Fassmann in Donawitz kann man ihr überhaupt nicht weiterhelfen, doch der Besuch beim alten Schurrek in der Judendorfer Straße zahlt sich aus. Dort häufen sich Diebstähle. Meist fehlt bloß Kleinzeug. In letzter Zeit auch Eisenketten. Das beunruhigt den Firmenchef aber nicht weiter, denn der Wert dieser Waren ist gering.
Wann ihm das Fehlen der Eisenketten zum ersten Mal bewusst geworden sei, fragt die Chefinspektorin.
„Ist schon gut drei Wochen her“, erzählt der weißhaarige Brillenträger im verwaschenen Overall und der zerbeulten Schirmkappe auf dem Kopf.
„Ist Ihnen vorher etwas aufgefallen? Diebe spionieren den Tatort doch aus, bevor sie zuschlagen.“
Der Alte stutzt. „Ja. Da strich tatsächlich öfter einmal so ein Kerl herum“, meint er nach einer Weile, bleckt die Zähne und kratzt sich zwischen seinen weißen Bartstoppeln. „Dunkle Kleidung. Schlank. Er fuhr so einen schwarzen Geländewagen, stand eine Weile in meiner Einfahrt und beobachtete den Lagerplatz. Als ich ihn fragen wollte, ob er etwas kaufen will, ist er verduftet.“
„Von welcher Art Geländewagen reden Sie? Von einem deutschen Produkt? Einem Japaner?“
„Keine Ahnung. Groß, massiv, mit breiten Reifen.“
Joe hat so ein Auto, fällt ihr ein. „Und der Mann? Wie groß war der? Wie schwer? Wie alt? Würden Sie ihn auf einem Foto erkennen?“
Ach wo, wehrt der Alte ab. Er habe ihn doch bloß noch von der Seite, beziehungsweise von hinten gesehen.
„Und das Autokennzeichen?“
Schurrek schüttelt bedauernd den Kopf. Selbst wenn er es registriert hätte, wäre es ihm längst entfallen.
Wieder hinterlässt Ulla ihre Karte. „Rufen Sie mich sofort an, wenn der Kerl noch einmal hier auftaucht“, ersucht sie ihn. Da klingelt ihr Telefon. Joe ist dran. Er müsse mit ihr reden, sagt er. Und er wolle sie zum Abendessen einladen. In einer Stunde.
Er will sie wiedersehen? Gott sei Dank. Also hat ihn ihr blödes Benehmen am Morgen doch nicht auf Dauer verstimmt. Womöglich will er ihr die Leviten lesen, freut sie sich. Wäre spannend.
Aufgeregt wendet sie den Wagen, fährt nach Hause, duscht, läuft nackt ins Schlafzimmer und zieht sich etwas Nettes über. Kurzer Wollrock in Rot, schwarzes Oberteil ohne BH und schwarze Strümpfe. Was Männer halt so anmacht. Rasch nimmt sie noch einen Lippenstift zur Hand und malt sich einen Kussmund. Das reicht.
Es wäre doch ziemlich unklug, schon am ersten Abend zu viel Pulver zu verschießen, überlegt sie.
Die Sache mit Joe ist ihr sehr ernst.
Da könnte etwas Dauerhaftes entstehen.
Es dunkelt.
Joe erwartet sie in der Stadtmeierei, einem kleinen, feinen Restaurant nahe dem Stadttheater. Dunkler Boden, weiße Wände mit modernen Bildern, orange Designersessel und Tische in Nussholzoptik erfreuen das Auge des Gasts. Rechts von Ulla ein moderner Wandverbau aus Glas, in dem ausgesucht noble Weine präsentiert werden. Zufrieden registriert Ulla, welchen Eindruck sie auf Joe macht, während er die Getränke ordert.
Alle Tische sind besetzt. Gedämpftes Gemurmel. Ein dezentes Klirren von Besteck. Sie essen Hummerschaumsuppe, Wolfsbarsch und Crevetten, als
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