Rosentod: Thriller (German Edition)
hockt sich in ihren Lesesessel und blättert in ihrem neuen Buch. Es handelt von der Großen Allianz der Staaten Preußen, Österreich, Russland und Großbritannien, die nach Ende der napoleonischen Herrschaft entstand. Zur Befriedung europäischer Unruheherde und zur gemeinsamen Verteidigung der Grenzen. Ein Unterfangen, das kläglich scheiterte.
Allianzen schmieden, überlegt Ulla müde. Sich den richtigen Partner suchen und ihm treu zur Seite stehen. Gerade in schwierigen Zeiten. Hält man sich nicht daran, geht alles zugrunde. Das lehrt uns die Geschichte.
Zum selben Zeitpunkt isst Joe Maringer in seiner Küche drei gebratene Eier mit etwas Weißbrot, trinkt ein Glas Rotwein, stellt das Geschirr in die Spüle und geht zu Bett. Eine Viertelstunde später schläft er ein.
Währenddessen schleicht draußen eine dunkle Gestalt ums Haus und huscht zu Maringers Jeep. Eine Taschenlampe flammt auf. Der Mann notiert sich Reifenmarke und Dimension. Dann verlöscht das Licht wieder.
Ein kurzer Blick ins Gelände.
Nichts rührt sich.
Zufrieden marschiert Max Paulik bis zur übernächsten Quergasse, steigt in seinen dunklen Geländewagen und fährt ungesehen davon.
***
Gründonnerstag.
Ostern im Schoße der Familie. Ein Traum, aus dem sie gar nicht erwachen will. Trotzdem ist sie plötzlich munter.
Die Stille weckte sie.
Heute beherrscht sie nicht nur das Haus, auch draußen ist es völlig ruhig. Von den Bewohnern der Häuser gegenüber ist nichts zu hören oder zu sehen. Gibt es da überhaupt Menschen? Traurig denkt sie an früher. An ihre Kindheit in Hagen, als Tochter eines allseits bekannten Ehepaars. So viele Verwandte, Freunde und Bekannte. Liebe und Geborgenheit als Selbstverständlichkeit. Hätte sie damals gewusst, wie sehr sie das alles einmal vermissen würde, hätte sie das Gefühl weit mehr ausgekostet, aber etwas, das einem so gewiss ist wie essen und trinken, schätzt man in der Jugend nicht.
Was davon geblieben ist? Bruchstückhafte Erinnerung. Ein Hauch von Seelenschmerz. Sentimentale Elementarteilchen einer längst vergangenen Realität.
Vor dem Haus ist es lau wie selten im März. Keine Autos, keine Menschen, nicht der leiseste Laut. Im Lack eines Wagens auf dem Parkplatz ihr Spiegelbild. Eine mittelgroße, schlanke Person mit schwarzer Hose über halbhohen Stiefeln, schwarz-weißer Pepitajacke und lässig über die Schulter gehängter, schicker Handtasche. Sie sieht jünger aus, als sie ist. Na, wenn schon. Gleichgültig nickt sie sich zu. Gleich darauf ein ersticktes Surren. Ihr Telefon. Wo ist es nur?
„Hallo?“
Joe meldet sich.
„Hast du die Blumen gefunden?“, fragt er.
„Aber ja. Ich freue mich.“
„Deine Stimme klingt gar nicht danach. Bedrückt dich etwas? Was hast du denn?“
Wortlos legt sie auf.
Eine Dreiviertelstunde später entdeckt sie ihn in der Kantine, setzt sich zu ihm und hält ihm ihren Prospekt über den Ledersprung unter die Nase. Von uraltem Bergmannsbrauch ist darin die Rede. Von einer Zeremonie, die man im Grunde nur noch hier erlebt. Ulla will Details hören. Joe müsse ihr da ja eigentlich helfen können.
Sofern sie ihm den Grund ihres Interesses verrate, werde er sie gerne informieren, sagt er.
„Leder hat doch vorwiegend mit Kleidung zu tun“, grübelt Ulla und reibt sich verlegen am Kinn. „Oder mit Mobiliar.“
„In diesem Fall geht es aber um das sogenannte Bergleder, mit dem die Bergleute seinerzeit in die Tiefen des Bergs rutschten“, erklärt ihr Joe. „Heute steht es als Symbol für Herausforderung und Gefahr. Die Studenten der Montanuniversität beginnen mit dieser Zeremonie ein Studium, das kein Stolpern erlaubt und in dem Klugheit und Mut die Schlüssel zum Erfolg sind.“
„Also ein Aufnahmeritus“, fasst Ulla zusammen.
Maringer nickt. „Er ist mehr als 150 Jahre alt.“
Klugheit und Mut, überlegt Ulla. Das könnte sie jetzt auch ganz gut gebrauchen.
Ehe er noch einmal fragen kann, worum es eigentlich geht, ist sie schon auf und davon, schnappt sich im Hof einen Dienstwagen und fährt zu Anna-Maria Röhm.
Unterdessen steht Bernd Koschinsky vorm Eingang des Kommissariats. Dort hockt ein Bettler. Ob er ihn zu Frau Ulla mitnehmen könne, fragt der Alte. Er habe eine Information für sie.
Geistesgegenwärtig stellt sich Koschinsky als Ullas Partner vor, drückt dem Mann einen Geldschein in die Hand und zieht ihn sanft zur Seite.
In der Zwischenzeit parkt Chefinspektorin Ulla Spärlich in der Erzherzog Johann-Straße. Die
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