Rosenwahn
Unebenheit des Untergrunds, und überhängende Zweige kratzten an den Seiten. Es hoppelte und ruckelte immer tiefer in den Wald hinein. Derya verdrängte entschlossen den Gedanken an die köstliche Fracht in ihrem Laderaum, der dieses Durchrütteln sicher nicht gut bekam. Jetzt machte der Weg eine Biegung und sie konnte den weißen Lieferwagen nicht mehr sehen. Die Bäume wurden niedriger, gingen in Buschwerk über und machten einer Lichtung Platz. Dort, hinter einem etwas baufälligen Drahtzaun, entdeckte sie den anderen Wagen. In einiger Entfernung stand auf dem eingefriedeten Land eine Art Schuppen oder Hütte. Niemand war zu sehen. Schnell hielt sie an, setzte ein wenig zurück und stellte den Motor ab. Sie spürte plötzlich ihr Herz wie wild klopfen und holte ihr Handy heraus. Sie wusste zwar nicht, was das hier zu bedeuten hatte, aber es war wohl besser, sie würde jetzt Georg anrufen. Sie suchte nach seiner Karte, die sie extra zu Hause noch eingesteckt hatte. Je länger sie suchte, desto mulmiger wurde ihr. Verdammt, warum hab ich seine Nummer nicht gleich eingespeichert, schimpfte sie mit sich selbst. Endlich hatte sie das Teil gefunden und tippte mit fliegenden Fingern seine Nummer. Sie hörte das Freizeichen – einmal, zweimal, dreimal – und betete, er möge rangehen. Schließlich war er Polizist, er musste doch immer erreichbar sein!
»Guten Abend«, sagte plötzlich eine Stimme neben ihr. »Sie sind der Partyservice? Sehr schön.«
Zu Tode erschrocken nahm Derya das Handy vom Ohr.
Das Gespräch mit seiner Frau hatte Angermüller mit einer gewissen Genugtuung erfüllt. Dieses Mal lag es wirklich nicht an ihm, wenn am Wochenende kein Familienleben zustande kam. Der heutige Abend wäre ohnehin ein kurzes Vergnügen mit den Kindern gewesen, da sie morgen für ihren Segeltörn wahrscheinlich früh aufstehen mussten und deshalb früh zu Bett gingen. Er war gern mit den Mädchen zusammen, aber nur zum Gute-Nacht-Sagen lohnte es sich nicht, nach Hause zu fahren. Aus dem Nebenzimmer hörte er seinen Kollegen seufzen.
»Na, Claus, geht’s zum Schafott?«, meinte er spöttisch und lugte um die Ecke in Jansens Büro.
»Oh Mann«, antwortete der nur, schaltete seinen Computer aus und rollte mit seinem Schreibtischstuhl zurück. »So langsam muss ich wohl wirklich. Und du wohnst also im Ferienhaus?«
Angermüllers Handy meldete sich erneut.
»Hab ich das noch nicht gesagt? Ich hüte Steffens Haus, so lange der verreist ist«, antwortete er leichthin auf Jansens Frage. »Und du wirst die Grillparty überleben, Claus. Das versichere ich dir. Vielleicht sind deine zukünftigen Schwiegereltern ja ganz nett«, sagte er tröstend. Und dann flüchtete er vor dem Radiergummi, der in seine Richtung geflogen kam, und griff nach dem klingelnden Handy. Er hörte nur ein schnelles Tuten, der Anrufer hatte wohl schon wieder aufgelegt. Als er sich die Nummer des versäumten Anrufs zeigen ließ, kam sie ihm irgendwie bekannt vor. Er nahm den Zettel hoch, auf dem er vorhin Deryas Anschluss notiert hatte. Tatsächlich, das war Deryas Nummer. Es gab wohl doch so etwas wie Gedankenübertragung. Er drückte auf Anrufen, hörte das Freizeichen, aber niemand nahm ab. Dreimal versuchte er noch, sie zu erreichen, doch Derya ging nicht ran. Komisch, dachte er. Erst versucht sie, mich anzurufen, und dann ist sie nicht mehr erreichbar. Sehr komisch.
»Ich geh dann mal«, sagte Jansen und sah nicht so aus, als ob er es auch tun würde. Ganz langsam erhob er sich von seinem Stuhl. »Schönes Wochenende, Georg. Was hast du Nettes vor?«
»Darüber hab ich mir ehrlich gesagt noch gar keine Gedanken gemacht.«
Dafür machte er sich jetzt Gedanken über Deryas Verhalten. Warum ging sie nicht an ihr Handy? Er probierte es noch einmal und noch einmal – dann war ihr Mobiltelefon offensichtlich ausgeschaltet worden. Das fand er jetzt noch merkwürdiger. Er überlegte kurz, dann rief er Deryas Festnetzanschluss an. Wieder hatte er Koray mit dieser unwilligen Attitüde am Apparat.
»Nö«, antwortete der Junge einsilbig auf die Frage, ob seine Mutter schon nach Hause gekommen wäre.
»Kannst du mir dann zufällig sagen, wo die Kundin wohnt, zu der sie fahren wollte?«
»Zufällig nicht«, sagte Koray lahm, und als Angermüller schon ungeduldig nachhaken wollte, fuhr er fort, »aber hier liegt ein Zettel: Frau Trede, Bliestorf.«
»Klasse! Das hilft mir schon weiter«, freute sich Angermüller und wollte das Gespräch gleich wieder
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