Rosenwahn

Haus von Frau Trede, ohne dem fröhlich-roten Lieferwagen von ›Deryas Köstlichkeiten‹ irgendwo begegnet zu sein.
    »Nein, Frau Derin ist hier leider immer noch nicht aufgetaucht«, gab eine völlig aufgelöste Frau Trede Auskunft. »Und nun braucht sie auch bald nicht mehr kommen«, setzte sie verärgert hinzu und deutete zum Gartentor. »Da, sehen Sie! Meine ersten Gäste. Was soll ich denn jetzt machen?«
    »Wir können Ihnen da leider nicht helfen. Wir wissen auch nicht, was Frau Derin dazwischengekommen ist.«
    »Meinen Sie denn, ihr ist vielleicht was passiert?«, fragte Deryas Kundin nun doch ein wenig verunsichert.
    »Wir hoffen nicht. Aber ich verspreche, ich gebe Ihnen Bescheid, wenn wir Genaueres wissen«, sagte Angermüller großzügig, denn die Frau tat ihm leid. Er wollte sie, als Deryas Kundin, nicht noch mehr verärgern. »Vielleicht geben Sie Ihren Gästen einfach erst mal was zu trinken.«
    Mit diesem klugen Ratschlag ließen sie die verzweifelte Gastgeberin zurück und stiegen wieder in ihren Dienstwagen. An Gesprächsstoff würde es der Festgesellschaft heute Abend jedenfalls nicht mangeln.
    »Also Claus, sofern du dazu in der Lage bist, würde ich vorschlagen, wir fahren jetzt ganz langsam die Strecke in Richtung Lübeck ab.«
    »Es wird mir schwerfallen, aber ich werde mein Bestes geben. Und wenn wir die Frau und ihr Auto nicht finden?«
    Über diese Möglichkeit schien Angermüller gar nicht erst nachdenken zu wollen und schüttelte unwillig den Kopf. »Jetzt lass uns erst mal fahren.«
    In gemächlichem Tempo verließen sie das Dorf. Auf der rechten Seite reihten sich Wiesen und Felder, gegenüber begrenzte der Forst Bliestorf die Straße. Vor ihnen bog ein ausladendes landwirtschaftliches Fahrzeug von einem Feldweg auf die Hauptstraße.
    »Oh Mann, auch noch son Maidöscher.«
    Mit einem Seufzer blieb Jansen hinter dem Trecker und seinem Anhang, der sich nicht schneller als mit 20 Kilometern die Stunde vorwärts bewegte. Angermüller suchte konzentriert mit den Augen jede Einmündung, jeden Parkplatz ab. In Ruhe und Beschaulichkeit glänzte die Landschaft in der Abendsonne, nur ganz vereinzelt kam ihnen ein Auto entgegen. Der Bauer vor ihnen verließ mit seinem Riesengefährt die Hauptstraße auf einem Weg, der nach rechts zu einem Gehöft abzweigte.
    »So ein Mist, dass ihr Handy ausgeschaltet ist. Sonst hätten wir es wenigstens darüber mit einer Ortung versuchen können«, schimpfte Angermüller.
    »Ob das hier auf dem Lande bei der Größe der Zellen was genutzt hätte, weiß man auch nicht. Die Funkzellen sind hier manchmal mehrere Quadratkilometer groß, und …«, Jansen unterbrach sich plötzlich. »Hast du da drüben das Schild gesehen?«
    Wieder einmal staunte Angermüller, wie sein Kollege sich zuweilen auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrieren konnte. Bevor er nachfragen konnte, was Jansen meinte, war der, so schnell wie nur ein geübter Rallyefahrer das beherrschte, auf die Bremse getreten und änderte mit einigen kurzen Vor- und Zurückstößen die Fahrtrichtung um 180 Grad. Angermüller, der schon bei wesentlich höheren Geschwindigkeiten diese plötzlichen Manöver hatte aushalten müssen, unterdrückte einen Kommentar.
    »Na, hab ich doch richtig gesehen. Und, ist das interessant?«, meinte Jansen und hielt an der Einmündung eines Schotterweges in den Wald. Er deutete auf das ziemlich ramponierte Schild, das am Pfahl eines Verkehrszeichens lehnte. »Hier Weihnachtsbaumverkauf – Dezember Sa–So, 8–16 Uhr – Baum- und Rosenschule Möller – 500 Meter«, las Angermüller. Es dauerte einen Moment, bis er wusste, woher es ihm bekannt vorkam.
    »Weihnachtsbäume. Das ist interessant, da hast du recht!«
    »Allerdings. Ab in die Pampa«, antwortete Jansen unternehmungslustig. Der Passat rumpelte in den Wald hinein. Angermüller versuchte, die Umgebung zu beobachten und gleichzeitig den Kilometerzähler im Auge zu behalten. Sie folgten dem Forstweg, der sie immer tiefer zwischen die dicht an dicht stehenden Bäume führte, bis Angermüller irgendwann feststellte: »Wir sind jetzt schon 800 Meter weit gefahren. Ich glaube nicht, dass wir hier noch richtig sind. Das muss irgendwo abgegangen sein.«
    »Meinst du? Ein ganzes Stück zurück, da war vorhin links so ein kleiner Weg, aber den hab ich gar nicht ernst genommen.«
    »Lass uns umdrehen.«
    Geschickt wendete Jansen auf der engen Schneise und fuhr langsam den Schotterweg wieder zurück. »Hier ist es«, sagte er