Rosenwahn
weiß nur, dass Selma ziemlich verzweifelt gewesen sein muss.«
»Wie gesagt, Selma war mein Augenstern, sie hat immer alles bekommen, jeden Wunsch hab ich ihr zu erfüllen versucht. Einmal habe ich dann etwas von ihr verlangt, und sie hat mich nicht einmal ausreden lassen.« Kummervoll blickte er zu Boden. So ganz selbstverständlich war Selmas Weigerung, den Sohn des Geschäftsfreundes zu heiraten, denn wohl doch nicht gewesen. Die Möglichkeit, dass seine Tochter selbst den Mann aussuchen wollte, mit dem sie ihr Leben verbringen würde, schien Altül gar nicht in den Sinn gekommen zu sein.
»Glauben Sie eigentlich wirklich, Selma hat sich an einen unbekannten Ort abgesetzt, Herr Altül?«, wollte Jansen in der entstandenen Stille wissen. Ob dem Mann die Fragen passten, die sie ihm stellten, vermochte Angermüller nicht zu beurteilen. Altül beantwortete sie alle mit gleich bleibender geduldiger Zuvorkommenheit.
»Was hätten wir sonst glauben sollen?«, fragte er irgendwie hilflos zurück. »In den ersten Wochen haben wir doch immer damit gerechnet, dass sie wieder nach Hause kommt. Aber je länger es dauerte …« Er brach ab und sah aus dem Fenster.
»Hatte sich denn in den Tagen vor ihrem Verschwinden etwas an Selma verändert? An ihren Gewohnheiten, ihrem Freundeskreis, ihrem Verhalten?«
Erol Altül hob nur ratlos die Schultern. »Ich kann Ihnen diese Frage nicht beantworten. Wie gesagt, unser Verhältnis war sowieso verändert, nachdem ich ihr den Vorschlag gemacht hatte, den Sohn meines Partners zu heiraten. Außerdem«, er hielt einen Moment inne. Er sah sehr niedergeschlagen aus. »Seit Selma weg ist, frage ich mich manchmal, ob ich meine Tochter überhaupt gekannt habe. Wissen Sie, ich verbringe den Großteil meiner Zeit hier in der Firma, wie auch heute den Freitagnachmittag. Und meine Frau, die bestimmt mehr dazu sagen könnte, ist vor einigen Monaten mit unserem Jüngsten in die Türkei gegangen. Sie konnte die vielen Erinnerungen im Haus, in der Stadt und die ständigen Gedanken, die sie sich hier um Selma gemacht hat, die immer wiederkehrenden Fragen, nicht mehr ertragen.«
Angermüller nickte verständnisvoll. »Haben Sie den Namen Gül gelegentlich bei Ihrer Tochter gehört?«, versuchte er es trotzdem noch einmal.
»Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern. Wer ist das?«
»Das ist eine von Selmas Freundinnen.«
»Meine Frau hätte da vielleicht helfen können. Wie gesagt …« Er brach ab. Den Beamten war inzwischen klar, dass sie von Erol Altül keinerlei lohnende Erkenntnisse, die ihnen irgendwie weiterhelfen würden, zu erwarten hatten, und so bedankten sie sich für seine Zeit.
»Ich hoffe, Ihre Vermutung ist falsch«, sagte er noch zu ihnen, als sie sich verabschiedeten. »Beten Sie für mein Kind, dass es ihm gut geht.«
Sie ließen einen verzweifelten Mann zurück, der nicht wusste, dass er seine Tochter schon längst verloren hatte, auch als sie noch bei ihm war. Angermüller und Jansen kehrten noch einmal zurück ins Büro. Der Kriminaldirektor war längst in sein Wochenende verschwunden, hatte aber hinterlassen, dass er bei der kleinen Frühbesprechung am Montag ein schlüssiges Ermittlungskonzept betreffs der Rosenmorde erwarte, schließlich sei der Fall ärgerlicherweise jetzt in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt.
»Da war auch noch ein Anruf von der Fahndung«, berichtete Thomas Niemann und sah auf seine Notizen. »Eine Zeugin, eine Derya Derin, die eigentlich dich sprechen wollte, Georg, hatte noch einen neuen Hinweis zu einer Vermissten.«
»Was für einen Hinweis?«
»Nicht viel, nur dass die vermisste Gül Seden mehrfach gesehen worden ist, wie sie in einen weißen Lieferwagen eingestiegen ist. Und auf dem Auto war eine Rose abgebildet.«
»Ah ja. Danke.«
»Jetzt, wo die Zeitungen nur noch vom Rosenmörder schreiben, spielen alle gleich wieder verrückt«, kommentierte Jansen kopfschüttelnd. Sie setzten sich zu dritt zusammen und rekapitulierten den Stand der Dinge. Da war die erstaunliche Erkenntnis über Leo Panknins Beziehung, die sie überprüfen mussten, aber ansonsten landeten sie bei ihrem Puzzle aus Namen, Daten und Fakten immer wieder bei der Übereinstimmung, dass die beiden toten Frauen wie auch die verschwundene Selma Altül das Krisenzentrum für Migrantinnen aufgesucht hatten. Viel war das nicht.
Angermüller konnte sich nicht so recht auf das Gespräch konzentrieren. Derya versuchte also doch weiterhin auf eigene Faust,
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