Rosenwahn
ist mir meine Freizeit zu schade. Deshalb beschäftige ich ja den Kaminski seit einiger Zeit, damit das Grundstück nicht ganz verwildert. Ich sitz sowieso meist nur auf der Terrasse.« Brecht fasste sich an die Stirn. »Jetzt, wo ich darüber rede, wird mir wieder bewusst, dass ich dieses Haus so schnell wie möglich loswerden muss. Entschuldigung, das interessiert Sie ja gar nicht. Aber ein Wahnsinn, dass ich das nicht längst getan habe! Wenn Sie jetzt da allerdings so einen grausigen Fund gemacht gaben, das wirkt natürlich nicht gerade verkaufsfördernd. Wissen Sie denn schon, um wen es sich handelt?«
Angermüller schüttelte den Kopf. »Sie sind viel auf Reisen?«
»Haben Sie das auch gehört, ja?«, fragte der Arzt mit einem schiefen Grinsen und wartete die Antwort nicht ab. »Der Job in der Klinik ist nicht schlecht. Aber ich mach hier nur Hüften. Und als die Krise mit Viola anfing, da brauchte ich irgendwie Luft. Ich musste einfach öfter hier raus. Ein normaler Urlaub wäre nicht das Richtige gewesen, da hätte ich die ganze Zeit doch nur darüber nachgegrübelt, was in meiner Ehe schiefgelaufen ist. Ich hab mich bei einer internationalen Hilfsorganisation beworben und werde zweimal im Jahr zu humanitären Einsätzen ins Ausland geschickt, in Elendsviertel der dritten Welt, wie man so schön sagt. Mein Chef ist mit meinen Auszeiten einverstanden, ich mach was Sinnvolles, und mein kleines Leben mit seinem lächerlichen Kummer relativiert sich immer wieder aufs Neue. Das tut mir unheimlich gut.«
»Könnten Sie uns eine Aufstellung geben, von wann bis wann Sie in den letzten Jahren Ihre Auslandseinsätze hatten?«, erkundigte sich Angermüller.
»Für mein Alibi, was?«, lachte Brecht kurz auf.
»Es wäre wichtig für uns«, entgegnete Angermüller nur.
»Das können wir gleich machen. Die Personalabteilung müsste das eigentlich anhand meiner Gehaltsabrechnungen feststellen können. Ich sag dort Bescheid.«
Als Angermüller und Jansen gegen Abend ins Büro zurückgekehrt waren, hatten sie noch kurz mit Niemann zusammengesessen und die Lage diskutiert. Natürlich waren sie aufgrund der Tatsache, dass über jedem der Fundorte diese spezielle Sorte der Rosa alba wuchs, ziemlich sicher, dass von einer Verbindung zwischen beiden Fällen auszugehen war.
»Wär sonst ja wirklich ein verrückter Zufall, oder?«, meinte Angermüller.
»Soll’s manchmal geben«, antwortete Niemann.
Jansen zuckte mit den Achseln.
»Vielleicht wissen wir nach der Identifizierung ja schon mehr. Dr. Ruckdäschl kümmert sich um das geschraubte Knie, und du, Thomas, machst dich wieder an die Vermi/Utot. Ameise und sein Team sind auch noch am Spuren auswerten. Morgen früh sieht die Welt schon ganz anders aus. Jetzt machen wir erst mal Feierabend!«
Angermüller stand auf, ging auf den Flur und holte sein Handy heraus. Er wollte Astrid fragen, ob er heute Abend für sie beide etwas kochen sollte. Der Himmel vor den Fenstern hatte mittlerweile eine bedrohlich dunkle Farbe angenommen. Da hatte sich in der schwülen Luft mächtig etwas zusammengebraut.
»Ich hab dir doch heute Morgen beim Frühstück noch erzählt, dass wir heute ein Vorbereitungstreffen im Verein haben. Ach Georg, mein kleiner Träumer, hast du mir wieder nicht zugehört?«
Sie bemühte sich, nett zu sein, das merkte er. Aber er hatte es wieder einmal verbockt, hatte wieder einen Beweis für seine Unaufmerksamkeit und seine Unzuverlässigkeit geliefert.
»Und weil du wahrscheinlich auch alles andere dann nicht mitbekommen hast, sag ich’s nochmal: Morgen Abend findet dann die Gesprächsrunde mit Kolleginnen und Kollegen von Asylhilfeorganisationen aus anderen Bundesländern statt, die wir heute vorbereiten. Die Kirche hat dieses Treffen organisiert. Und Mittwoch kommen Julia und Judith zurück.«
»Schade«, meinte Georg nur und sah zu, wie im Osten über der Altstadt die ersten Blitze zuckten.
»Tut mir leid! Als wir das planten, dachte ich noch, wie praktisch, dann gibt es wenigstens keine Probleme mit unserer Alltagsorganisation, weil die Kinder nicht da sind.«
Astrids Bedauern hielt sich in Grenzen. Offensichtlich wollte sie auch nicht länger mit ihm telefonieren.
»Und denk bitte daran«, ermahnte sie ihn nur noch. »Wir sehen uns beim Abholen am Mittwoch um 18 Uhr an der Schule.«
Dann wünschte sie ihm schnell einen schönen Abend und legte auf. »Wetter sieht nicht so gut aus. Soll ich dich im Wagen mitnehmen?«, fragte Jansen seinen
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