Rosenwahn
ihrer ersten beruflichen Begegnung unmissverständlich wissen lassen. Sie gab klare Anweisungen und traf ebensolche Aussagen. Da war der larmoyante Anruf in der letzten Woche im Kommissariat ganz und gar nicht typisch für sie. Wahrscheinlich hatte sie da wirklich nur ihren Frust über die Arbeitsüberlastung durch Steffens lange Abwesenheit loswerden wollen.
Auch sie arbeitete jetzt umsichtig und aufmerksam, hockte neben dem freigelegten Körper und sprach leise in ein Diktiergerät.
»Herr Angermüller?« Dr. Ruckdäschl sah sich nach ihm um und lächelte den Angesprochenen freundlich an. »Kommen Sie bitte ein wenig näher? Ich möchte Ihnen meine bisherigen Ergebnisse vorstellen, auch wenn sie noch etwas mager sind.«
»Schießen Sie los.«
»Also, es handelt sich um eine weibliche Person, maximal 20 Jahre alt, würde ich sagen. Soweit ich es von hier aus beurteilen kann, gibt es keine Spuren von äußerer Gewalteinwirkung. Das, was Sie hier an den Knochen sehen«, sie deutete mit ihrem behandschuhten Finger auf etwas, das wohl ein Teil eines Armes war, »diese helle, bröselige Substanz, das sind Gewebereste, sogenannte Leichenlipide oder auch Fettwachse. Der Boden hier ist lehmig und feucht, und in so einem Liegemilieu geht die Verwesung nur langsam bis gar nicht voran, deshalb der Zustand dieser Leiche. Vom jetzigen Wissensstand her sage ich mal, länger als ein paar Jahre liegt sie hier nicht. Wie genau ich das PMI bestimmen kann, also wann sie zu Tode gekommen ist, werden wir sehen. Dafür brauche ich noch einige Parameter. Es wird sich zeigen, wie weit ich da komme.«
Wieder zeigte sie auf eine Stelle des halb verwesten Leichnams. »Sehen Sie das? Das ist sozusagen ein Glücksfall: zwei Schrauben im Kniebereich. Das ist bestimmt nach einer komplizierten Fraktur gemacht worden. Wenn wir die Teile im Institut geputzt haben, schicken wir eine Aufnahme zu den Krankenhäusern in der Gegend. Das hilft uns bestimmt bei der Identifizierung.« Sie erhob sich. »Es gibt allerdings noch etwas anderes, das ich persönlich an diesem Fall ziemlich bemerkenswert finde. Und nicht nur, weil ich eine ganz besondere Schwäche dafür habe. Einen sehr speziellen Beifund sozusagen. Was sagen Sie denn dazu?« Sie deutete auf den Rosenstrauch, den die Kriminaltechniker mit einer Schnur am Zaun festgebunden hatten, damit er nicht auf die Fundstelle kippte. »Ich möchte mich ja nicht in Ihre Kompetenzen einmischen, aber glauben Sie, das ist ein Zufall? Dass genau hier wieder so eine wunderbare Félicité Parmentier über dem Grab wächst wie beim letzten Fund?«
Angermüller schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nicht. Auch wenn man das nie ausschließen kann. Aber das wird wohl schon einen Einfluss auf unseren Ermittlungsansatz im Fall des Fundes von Eutin haben.«
Einen Moment schauten beide stumm auf die Pflanze.
»Der Duft dieser Rose ist betörend, finden Sie nicht?«, begann Dr. Ruckdäschl unvermittelt zu schwärmen. »Bei mir blüht so ein Busch direkt unter meinem Schlafzimmerfenster. Und besonders am Abend verströmt er ein geradezu berauschendes Aroma, das müssten Sie einmal erleben.«
Dem grauenvollen Fund zu ihren Füßen schien sie völlig entrückt. Mit einem träumerischen Lächeln ruhte ihr Blick auf dem herrlichen Rosenstrauch. Wohl wissend, dass die Kollegen ihnen beiden aufmerksam lauschten, fragte Angermüller betont sachlich: »Haben Sie sonst noch irgendwas gefunden?«
Die junge Frau riss sich los. »Weitere Beifunde bisher leider keine«, bedauerte sie. Dann sah sie zu Ameise und Striese und meinte aufmunternd: »Aber mit dem Durchsieben des Erdreichs haben die Herrn Kollegen hier noch eine ganze Weile zu tun, nicht wahr? Vielleicht findet sich ja noch was.«
Ameise und der Praktikant nickten gehorsam.
»Ja, das ist es leider schon. Ich muss jetzt zurück ins Institut. Spätestens morgen hören Sie von mir. Ich kümmere mich als Erstes um das Knie und dann um den Zahnstatus. Damit hatten wir ja beim letzten Mal einen guten Erfolg. Wir bleiben in Verbindung.«
»Dann vielen Dank, Frau Doktor.«
»Aber gern. Wiedersehen.« Die junge Frau schenkte Angermüller ein strahlendes Lächeln, nahm ihre Tasche und machte sich auf den Weg nach oben.
»Aber gern! Wiedersehen!«, flötete Ameise mit grimmigem Unterton, als die Rechtsmedizinerin außer Hörweite war. »Die ist wohl scharf auf dich, was, Angermüller?«
»Könnte es sein, dass ich einfach nur freundlich und höflich zu ihr bin? Aber wenn
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