Rosenwahn
entgegen. In dem recht geräumigen Zimmer mit den großen Fenstern lagen viele bunte Teppiche, neben- und übereinander. Die Möbel waren eher klassisch, aus Omas Zeiten, als modern. Es gab ein Bücherregal und auch noch einen großen Esstisch mit sechs Stühlen und überall Rosen: auf Gemälden, auf Kissen, auf den bodenlangen Vorhängen, sie zierten ein Tablett, einen alten Teller und eine Tischdecke. Als ob ich’s geahnt hätte, dachte Angermüller, der in Steffens Garten gerade einen Strauß Rosen für Derya abgeschnitten hatte.
»Wie wunderschön, meine Lieblingsblumen! Danke, Georg!«, freute sich Derya, die ihn mit zwei Wangenküsschen begrüßte und dann den anderen Gästen vorstellte. »Das ist meine alte Freundin Aylin und das ist meine große Schwester, Bilhan.«
»Sag Alina zu mir, Georg«, bat die gut aussehende Frau mit den schwarzen Locken, die aufgestanden war und ihm ebenfalls zwei Küsschen zur Begrüßung neben die Wangen hauchte, wobei ihm der Duft eines schweren Parfums um die Nase wehte. »Außerdem bin ich zwar eine langjährige, aber keine alte Freundin!«, betonte sie mit einem schnippischen Seitenblick auf Derya. Auch Bilhan, die ein paar Jahre älter war, hatte sich erhoben und begrüßte Georg herzlich. Bis auf ihre schwarzen Haare sah sie der immer noch karottenroten Derya sehr ähnlich. Die beiden Frauen begutachteten ihn aufmerksam von Kopf bis Fuß, wie Georg mit leichtem Unbehagen bemerkte. Alina sagte etwas auf Türkisch zu den beiden anderen und alle drei prusteten auf einmal los. Zum Glück hatte er gestern zu Hause das weiße Leinenhemd eingepackt und eben noch übergestreift. Es verbarg recht geschickt seinen nach wie vor ein wenig zu umfangreichen Bauch.
»Nun seid nicht so albern«, mahnte Derya lachend die Frauen. »Das ist außerdem nicht nett. Georg versteht doch kein Türkisch.«
»Zum Glück«, kicherte Alina.
»Jetzt lasst uns essen.«
»Was? Wo bleibt der Rakı ?«, rief Alina. »Derya, du hast gesagt, wir machen einen Rakı -Abend!«
»Aber natürlich!« Derya schlug sich gegen die Stirn. »Entschuldigt! Kommt sofort!«
»Setz dich doch zu uns, Georg«, forderte ihn Alina mit einem gewinnenden Lächeln auf und klopfte auf den Platz neben sich. »Keine Angst, wir beißen nicht.«
Der niedrige Tisch war voll gestellt mit vielen kleinen Schüsseln und Platten, daneben ein Korb mit aufgeschnittenem Fladenbrot. Angermüller lief bei dem Anblick der appetitlich bunten Mischung das Wasser im Munde zusammen. Auf einem Tablett brachte Derya einen Behälter mit Eiswürfeln, einen Krug Wasser, eine Flasche Rakı und vier Gläser herein. In jedes Glas gab sie ein paar Eiswürfel, goss etwas von dem Schnaps darüber und füllte mit Wasser auf.
» Ş erefe! «, riefen die drei Frauen, ließen die Gläser klingen und stießen auch mit Georg an. Er hatte nie vorher Rakı getrunken und war überrascht von dem fruchtigen, milden Geschmack des nunmehr milchig aussehenden Getränks.
»Greift zu, Mädels! Das Meze -Büfett ist eröffnet«, lud Derya ihre Gäste ein und reichte eine Platte mit noch warmen Stücken von Kartoffel- Börek herum. Auch Koray kam zur Tür hereingeschlurft und wurde von den Frauen mit großem Hallo begrüßt und mit vielen Küsschen bedacht, was dem coolen Jungen sichtlich peinlich war. Doch Alina und seine Tante ließen sich von seinem miesepetrigen Gesicht nicht beeindrucken und trieben so lange ihren Schabernack mit ihm, bis auch er nicht mehr umhinkonnte und zu lachen anfing. Plötzlich war er nur noch ein etwas zu groß geratener Junge, der sich gern verwöhnen ließ, wenn ihm die Damen die besten Bissen zusteckten.
»Ich dachte, du magst nur Pizza!«, sagte Alina erstaunt.
»Als Kind, Mann«, antwortete Koray leicht genervt, als ob das schon Lichtjahre her wäre, doch er grinste und hatte offensichtlich auch einen gesunden Appetit. Georg kostete eifrig von den ihm zumeist unbekannten Köstlichkeiten. Besonders angetan war er von zartem Hühnerfleisch unter einer köstlich samtigen Walnusssauce, tscherkessisches Huhn nannte sich das Gericht, wie Derya erklärte. Aber auch die kalten Köfte , mit Zimt, Kümmel und Piment gewürzt – ohne Knoblauch, wie er seiner Schwägerin Gudrun jetzt gern gezeigt hätte – und die sehr knoblauchhaltige Spinat-Joghurt-Creme mundeten ihm hervorragend. Es war ein warmer Abend, und das würzige Essen tat sein Übriges, sodass Georg sich das Glas gern noch einmal mit dem erfrischenden Drink aus Rakı und Wasser
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