Rosenwahn
Aksoys verneinten. Sehr allein sahen die beiden aus, wie sie nun stumm und in sich zusammengesunken in ihren Sesseln saßen. Sie taten Angermüller von Herzen leid. Wahrscheinlich hatten sie sich die ganzen zwei Jahre mit Selbstvorwürfen gequält und nun diese Nachricht. Gern hätte er ihnen etwas Tröstendes gesagt, allein ihm fiel nichts ein. Nun gut, er und seine Kollegen würden das ihre tun, um die Umstände des Todes von Fatma Aksoy aufzuklären, aber helfen würde das weder ihr noch ihren Eltern.
»Sagen Sie, wissen Sie, ob Ihre Tochter mit einem jungen Mann aus Lübeck bekannt war, einem Deutschen?«
»Unsere Tochter nur Freundinnen«, antwortete Herr Aksoy mit Nachdruck.
»Fatma nur Freundinnen«, bestätigte auch seine Frau. »Aber wir nicht viel wissen über Fatmas Leben«, fügte sie mit deutlicher Resignation an. Bis auf ein Mädchen, das auch in Schwartau wohnte, kannten die Eltern keine Namen und Adressen.
Bevor sie sich verabschiedeten, fiel Angermüller noch eine höchst unangenehme Aufgabe zu: Er musste Fatmas Mutter klarmachen, dass er ihr nicht raten würde, sich den Leichnam ihrer Tochter noch einmal anzusehen. Endlich gelang es ihm, sie davon zu überzeugen, und das Einzige, was er ihr versprechen konnte, war, Bescheid zu geben, wann sie ihr Kind beerdigen konnten. Er fragte dann noch, ob sie Verwandte oder Freunde in der Nähe hätten, die ihnen beistehen könnten, was die Aksoys bejahten. Sie wollten gleich dort anrufen. Trotzdem fühlte sich Angermüller ausgesprochen unbehaglich, als sie die Trauernden so allein zurückließen. Das heitere Wetter, das sie draußen empfing, erschien ihm fast anstößig angesichts des Unglücks von Fatmas Eltern.
Auch Jansen machte einen nachdenklichen Eindruck, als sie wieder in ihren Wagen stiegen. »Die Eltern können einem wirklich leid tun«, sagte er dann. »Arme Schweine sind das.«
»Tja, wahrscheinlich werden die ihres Lebens nie mehr richtig froh werden«, stimmte Angermüller unkonzentriert zu, während er darüber nachdachte, zu welcher Erkenntnis sie durch die Angaben der Aksoys gelangt waren.
»Wir wissen jetzt«, versuchte er ein Resümee, »dass sowohl Meral Durgut als auch Fatma Aksoy eine von den Eltern arrangierte Ehe, die sie ablehnten, bevorstand. Ist das jetzt mal wieder ein Zufall oder besteht da irgendein Zusammenhang?«
»Gute Frage«, antwortete Jansen. »Ich habe keine Ahnung.«
Ein Zettel lag unter der Haustür, als Angermüller sein vorübergehendes Domizil betrat.
›Hallo, Georg! Wir machen heute einen türkischen Abend – hast du Lust? Leider habe ich nicht deine Handynummer. Um 19.30 Uhr geht’s los. Wird bestimmt lustig. Komm doch einfach rüber! Derya‹
Hatte er auf einen türkischen Abend Lust? Er wusste es nicht so recht. Einen türkischen Tag, wenn auch einen ziemlich tristen, hatte er ja bereits hinter sich gebracht. Andererseits war gerade nach so einem bedrückenden Erlebnis die Aussicht auf einen Abend allein auch eher deprimierend. Er hatte ohnehin festgestellt, dass er die Freiheit des Alleinseins viel weniger genoss, als er gedacht hatte. Vielleicht lag es an der fremden Umgebung. Die Villa war von Steffen und David natürlich in jeder Hinsicht sehr geschmackvoll gestaltet worden, doch so behaglich wie in seinen eigenen vier Wänden fand er das stilvolle Ambiente hier nicht. Wahrscheinlich fehlte ihm auch nur das Bewusstsein, andere Menschen um sich herum zu haben – auch wenn Astrid in letzter Zeit des Öfteren Abendtermine hatte und die Zwillinge meist ziemlich früh in ihren Betten lagen und schliefen. Es vermittelte trotzdem ein wohliges, geborgenes Gefühl zu wissen, sie waren einfach da.
»Hi«, begrüßte ihn knapp der lange, dünne Junge, der laut Derya ihr Sohn und ein ziemlich netter Kerl war. Unter seinem riesigen roten T-Shirt, das heute die Aufschrift ›Kanake‹ zierte, hing der Schritt seiner sehr weiten Hose fast zwischen den Knien.
»Dein Bulle, Mama«, rief er noch laut durch den Flur, bevor er in seinem Zimmer verschwand, aus dem der wütende Sprechgesang eines Rappers drang.
»Georg! Wie schön. Komm, hier sind wir«, winkte ihn Derya aus einer anderen Tür zu sich heran. Angermüller dachte gerade noch rechtzeitig an das, was er im Seminar für interkulturelle Kompetenz gelernt hatte, zog sich im Flur die Schuhe aus und stellte sie in die Ecke neben die anderen.
Um einen niedrigen Tisch saßen auf Polstern und Hockern noch zwei andere Frauen und sahen ihm neugierig
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