Rosenwahn
sich mit einem Taschentuch die Tränen vom Gesicht, die schon wieder aus ihren Augen zu fließen begannen.
»Gut, wenn Sie meinen«, nickte Angermüller. »Dann würde ich Sie jetzt bitten, uns noch einmal zu schildern, wie das war damals, als Ihre Tochter plötzlich verschwunden ist.«
Herr Aksoy sah kurz zu seiner Frau, die sich etwas zu beruhigen schien, und zog seine Hand wieder zurück. »Unsere Tochter kurz vor ihrem Schulabschluss. Sie wollte gern Einzelhandelslehre machen. Fatma geht in Lübeck Schule. Und an diesem Tag im Mai ist sie nicht nach Hause gekommen. Wir wussten, sie wollte noch treffen mit Freundinnen, und meine Frau hat dort angerufen. Wir uns Sorgen gemacht. Aber die haben gesagt, Fatma schon mehrere Tage nicht mehr in Schule gewesen. Sie dachten, Fatma krank.« Er schüttelte seinen Kopf.
»Was haben Sie denn gedacht, als Sie das hörten?«
»Wir sehr überrascht. Davon wir nichts mitbekommen. Wir sind erschrocken. Was ist da los, haben wir gedacht? Die ganze Nacht wir gewartet, aber sie nicht nach Hause gekommen und dann am nächsten Morgen wir sofort Polizei gegangen«, antwortete Herr Aksoy.
»Und die Kollegen haben eine Fahndung eingeleitet, die aber leider erfolglos war«, ergänzte Jansen, was die Eltern mit traurigen Gesichtern bestätigten.
»Die ganzen Jahre, wir immer gehofft, Fatma kommt zurück.« Auch der Mann wurde kurz wieder von seinen Gefühlen überwältigt.
»Hatte Ihre Tochter denn einen Grund, vor etwas wegzulaufen oder sich etwas anzutun? Gab es irgendwelche Anzeichen für persönliche Probleme bei Fatma?«
»Nein«, erwiderte der Vater und setzte sich wieder auf. »Fatma ging es gut. Sie hatte hier eigene Zimmer, sie hatte viele Freundinnen. Sie ist gern Schule gegangen. Fatma hatte kein Problem.«
Frau Aksoy drehte den Kopf zu ihrem Mann. »Doch, es gab Problem«, meldete sie sich nach einer kurzen Pause leise zu Wort. Sie hatte ein sympathisches Gesicht und schien ein paar Jahre jünger als ihr Mann zu sein. Etwas erschöpft sah sie unter ihrem Kopftuch aus. Immerhin hatte sie die Nachricht vom Tod ihres Kindes zu verkraften. Außerdem hatte sie gerade erst einige Stunden lang Büros geputzt. Ihr Mann sagte halblaut etwas auf Türkisch zu ihr, doch sie schüttelte den Kopf. »Mein Mann will nicht, dass ich darüber rede. Sie denken dann vielleicht falsch. Meiste Leute von unsere Familie leben in Türkei, auch unsere beide andere Kinder sind zurückgegangen, und wir auch zurückgehen, wenn ich fertig bin mit Arbeit.« Ihr türkischer Akzent war noch stärker als der ihres Mannes ausgeprägt. Während sie weitersprach, ließ sie die ganze Zeit ihren Blick auf ihm ruhen. »Wir hatten gefunden eine Mann für Fatma in unsere Heimat. Guter Mann, Sohn von Freund meines Mannes. Wir gedacht, wir tun Gutes für unsere Tochter. Aber Fatma hat gesagt nein. Sie noch zu jung. Sie noch Deutschland bleiben und vielleicht später entscheiden, ob zurück in Türkei. Fatma gutes Kind, hat nicht beschwert bei uns. Aber Fatma nicht glücklich.«
Diesen letzten Satz sagte Frau Aksoy sehr bestimmt. Ihr Mann schien immer mehr in sich zusammenzusinken, je länger sie erzählte.
»Was haben Sie denn getan, als Sie merkten, Ihre Tochter weigert sich, den Mann zu heiraten?«
»Mein Mann erst sehr böse. Hat gesagt, Fatma muss heiraten. Ich gesagt, du willst doch nicht, dass Eltern unglücklich? Vielleicht wir warten mit Hochzeit, eine Jahre, zwei Jahre und dann alles anders.«
»Und wie hat Fatma reagiert?«
»Hat gesagt nein. Sie selbst suchen Mann. Vielleicht auch gar nicht heiraten. Jeden Tag viele weinen. War ganze schreckliche Zeit.«
»Hätten Sie denn das Eheversprechen, das Sie wohl dem Freund oder seinem Sohn gegeben hatten, rückgängig machen können?«
Frau Aksoy zuckte hilflos mit den Schultern. »Sehr schwierig. Leute dort sehr beleidigt, sehr böse«, sie seufzte. »Wir nur Gutes wollten für Fatma, Sie müssen mir glauben!«
So wie Angermüller verstand, waren die Eltern Aksoy wohl eine unauflösliche Verpflichtung eingegangen und hatten sich und ihre Tochter in eine ziemlich ausweglose Situation manövriert. Und dem Mädchen waren die Konsequenzen einer Weigerung, den ausgesuchten Bräutigam zu heiraten, ganz genau bewusst gewesen. Konsequenzen für sich selbst und ihre Eltern. Und die hatten es nur gut gemeint, wie das bei Eltern so oft der Fall ist. Ihm fiel etwas ein.
»Eine Frage: Kennen Sie vielleicht eine Familie Durgut, die in Lübeck wohnt?«
Die beiden
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