Rosenwahn
diese ihre Entscheidung für ein anderes Leben niemals akzeptieren würde und dass ihr dieser Gedanke das Herz brach. Sie würde nie mehr unbeschwertes Glück erleben können, die unerträgliche Last, ihre geliebte Familie verloren zu haben, würde sie ihr ganzes Leben lang begleiten, und ihm wurde bald klar, dass er sie aus dieser Verstrickung befreien, sie erlösen musste.
Er sah ihr schönes Gesicht vor sich, als er ihr versprach, ihr zu helfen. Meral vertraute ihm bedingungslos, das hatte er sofort gespürt. Noch nie hatte ihm jemand, noch nie hatte ihm eine Frau so vertraut. In der kurzen Zeit, die er mit ihr verbrachte, wurde ihm schnell bewusst, dass es nur einen Ausweg gab. In ihrem tiefsten Innern sah auch sie nur diesen Ausweg, das fühlte er ganz genau.
Und dann hatte er sie hinüber begleitet und es war vorbei und alles gut. Meral liebte Blumen, vor allem Rosen, darüber hatten sie oft gesprochen. Er hatte ihr die schönste gebracht, die er finden konnte und sie damit geschmückt, sie in einen Traum aus Blüten eingehüllt. Noch nie in seinem Leben hatte er eine derart tiefe Befriedigung verspürt wie bei diesem Anblick. Erhaben fühlte er sich, das war das richtige Wort. Er schien gefunden zu haben, wonach er immer gesucht hatte. Seine Gefühle hatten ihn überwältigt, er war traurig, er hatte geweint wie ein Baby und war gleichzeitig unfassbar glücklich. Es war ein nie gekannter Rausch der Gefühle. Er war der Erlöser.
In der Nacht hatte es geregnet. Ein Blick in den grauen Himmel sagte Derya, dass es zumindest für heute erst einmal mit dem Vorgeschmack auf den Sommer vorbei war. Regenschwer beugten sich die Kastanienkronen draußen dem kräftigen Wind und weiße Blütenblätter wirbelten über die Straße. Endlich hatte sie es geschafft, Koray aus dem Bett zu schmeißen, der jeden Tag dasselbe Problem hatte, aus den Federn zu finden. Auch sie freute sich auf die Zeit, wenn ihr Sohn nicht mehr um acht in der Schule sein musste. Alle Morgen derselbe Stress und das voraussichtlich noch zwei weitere Jahre, wenn alles gut ging. Pünktlich kam der Junge trotzdem nur in den seltensten Fällen, was ihm ziemlich egal zu sein schien. Nur sie regte sich deswegen jeden Tag auf.
Endlich hatte er wie gewöhnlich kurz vor Schulbeginn das Haus verlassen, und Derya konnte sich zu ihrer Morgentoilette ins Badezimmer zurückziehen. Anschließend setzte sie sich mit einer Tasse Kaffee an den Küchentisch und arbeitete endgültig ihren Vorschlag für das Büffet der Kundin am Wochenende aus, wobei sie immer ein paar Alternativen einbaute, für den Fall, dass der erste Vorschlag nicht gefiel. Von spanischer Gurkensuppe über marokkanischen Möhrensalat, italienische Crostini, französische Meeresspezialitäten mit Aioli bis zur türkischen Pizza und syrischen Boulgur-Fleischbällchen, um nur einiges zu nennen, war fast jede Ecke des Mittelmeeres vertreten.
Zwischendurch fiel Derya wieder die erstaunliche Erkenntnis des gestrigen Abends ein. Sie musste unwillkürlich grinsen. Nachdem sie eine Nacht darüber geschlafen hatte, erschien ihr die Situation inzwischen schon viel weniger dramatisch. Sie wäre Georg zwar an diesem Morgen nicht so gern begegnet, aber bis zum Wochenende hatten sich die Wellen in ihrem Inneren bestimmt so weit geglättet, dass sie ihm gegenübertreten könnte, ohne sofort rot zu werden. Aber wer weiß, vielleicht zog er jetzt ja zurück in seine eigene Wohnung, wo seine Kinder wieder da waren. Das wäre schade, hatte sie sich an ihren neuen Nachbarn doch schon richtig gewöhnt.
Derya überschlug, was ihr Wareneinsatz für das Büffet kosten und wie viel Zeit für die Zubereitung nötig sein würde und dachte dabei wehmütig an Gül, die ihr bei der Arbeit an diesem Auftrag wieder spürbar fehlen würde. Dann kalkulierte sie das Ganze durch und rief ihre Kundin an. Die war ohne große Diskussion mit fast allem einverstanden, und so schrieb Derya kurz darauf bereits lange Listen und machte sich mit dem Auto auf den Weg zu ihrem Einkauf.
Gerade bugsierte sie den mit Gemüse voll beladenen Einkaufswagen durch Windböen und einen unangenehm sprühenden Regen zu ihrem Parkplatz, da spürte Derya ihr Handy vibrieren. Sie fummelte das Teil aus der Hosentasche und versuchte, sich unter dem Dachvorsprung des Großmarktes unterzustellen.
»Oh wie schön, Hülya! Was gibt’s?«, fragte sie erfreut.
Hülya war tatsächlich noch etwas eingefallen. »Gül hat mal so eine Beratung erwähnt, wo
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