Rosenwahn
gibt’s meinen köstlichen Schokoladenkuchen. Gell, ihr zwei?«, meinte er ein wenig zu fröhlich und wuschelte der einen seiner Töchter mit den Fingern durch die Haare, was die mit muffeliger Miene abwehrte.
»Ah ja. Na dann, hallo noch mal, Julia und Judith«, antwortete Derya munter. »Und entschuldigt bitte! Wenn ich gewusst hätte, dass euer Vater Besuch hat, hätte ich ja gar nicht erst gestört.«
Vater! Unglaublich, daran musste sie sich erst einmal gewöhnen.
»Du störst doch nicht!«, wehrte Angermüller ab. »Magst vielleicht was mitessen? Wir haben sowieso ein Schnitzel zu viel. Und mein Schokoladenkuchen ist wirklich sehr empfehlenswert, stimmt’s?« Er zwinkerte den Mädchen verschwörerisch zu, die aber gänzlich unbeteiligt taten.
»Vielen Dank, das ist sehr nett, aber ich habe mit Koray schon gegessen.« Derya versuchte noch einmal, die beiden Kinder für sich zu interessieren. »Türkische Pizza, die würde euch bestimmt auch schmecken. Ihr esst doch gern Pizza, oder?«
Sie schätzte die beiden auf 13 bis 14 Jahre, und bei dieser Ähnlichkeit waren sie mit Sicherheit Zwillinge. Ihre reservierte Reaktion auf Deryas erneuten Versuch, Kontakt aufzunehmen, war jedenfalls auch absolut identisch. Alle zwei zuckten nur desinteressiert mit den Schultern.
»Na gut, dann wünsche ich euch einen schönen Abend mit eurem Papa«, sagte sie trotzdem mit einem freundlichen Lächeln. »Und wir sehen uns ein anderes Mal. Tschüss ihr!«
»Ja, das machen wir, Frau Nachbarin, tschüss und bis bald!«, nickte Georg, erleichtert, wie Derya schien.
»Morgen Abend hat Papa aber auch keine Zeit. Da gehen wir essen bei unserem Lieblingsitaliener, und da kommt Mama auch mit, die musste heute nämlich nur arbeiten«, beeilte sich das Mädchen mit Namen Julia noch hinzuzufügen und sah sie dabei triumphierend an, wie Derya schien.
»Okay«, nickte Derya. »Ich habe verstanden. Na dann, tschüss noch mal.«
Georg mied ihren Blick, hatte sie das Gefühl, und sie war froh, als die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte. Sie atmete erst einmal kräftig aus, als sie außer Sichtweite war, und musste sich beherrschen, nicht laut vor sich hin zu fluchen und zu jammern. Gleichzeitig wäre sie am liebsten vor Scham im Erdboden verschwunden. Georg war gar nicht schwul, wie sie selbstverständlich gedacht hatte. Er hatte Frau und Kinder, er war ein ganz normaler Mann! Wie peinlich, wie ungeheuer peinlich, konnte sie nur noch denken. Oh Gott, und gestern der Rakı -Abend mit den Mädels, da hatten sie sich so benommen, wie immer, wenn kein männliches Wesen dabei war. Ihr wurde heiß, sie wurde knallrot, sie schämte sich ohne Ende.
Doch als sie eine Weile darüber nachgedacht hatte, wurde sie auch sauer auf Georg. Warum hatte er nie etwas gesagt? Kein Wort hatte er über sich und seine Lebensumstände erzählt, der Unaufrichtige! Andererseits hatte sie aber auch gar nicht gefragt und, wie es so ihre Art war, ihn oft auch gar nicht zu Wort kommen lassen, entschuldigte sie ihn dann wieder. Sie setzte sich mit der Flasche Wein, die sie für einen Abend zu zweit gedacht hatte, hinter ihrer Küche in den Garten und hatte den Inhalt ziemlich bald schon halb geleert. Eigentlich hatte sie das Rauchen schon lange aufgegeben, doch neulich hatte jemand eine Packung Zigaretten bei ihr vergessen. Nun zündete sie sich eine nach der anderen an. Was sollte sie jetzt tun? Sollte sie sich genauso verhalten wie bisher? Nein, das würde ihr gar nicht gelingen. So manche Offenheit, die sie gegenüber dem schwulen Georg an den Tag gelegt hatte, fand sie im Nachhinein ziemlich genierlich. Am besten vielleicht, es würde ein bisschen Zeit verstreichen. Das war natürlich dumm, weil sie ja eigentlich seine Hilfe bei der Suche nach Gül erbitten wollte, aber das ließ sich jetzt eben nicht ändern. Sollte es wirklich nötig sein, etwas zu unternehmen, dann würde ihr das auch allein gelingen. Schließlich hatte sie vor zwei Wochen nicht einmal geahnt, dass es überhaupt einen Georg Angermüller auf dieser Welt gab.
Noch eine ganze Zeit, während sie gemeinsam in der Küche die Kartoffeln für die Pommes schnitten und den Salat putzten, hatten Julia und Judith ihm Fragen nach seiner Nachbarin gestellt – sehr detailliert, sehr interessiert und sehr ernsthaft. Ein bisschen fühlte sich Angermüller wie bei einer Zeugenvernehmung. Wo wohnt die Frau, was macht sie, wie viele Kinder hat sie und vor allem, hat sie einen Mann? Das schien seine
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