Rosenwahn
passiert sei. Dabei hatte sie ihn mit ihren dunklen Augen unverwandt angeschaut. Da wusste er, warum sie seine Nähe gesucht hatte. Sie war nicht dumm, im Gegenteil, sie war ein gerissenes, kleines Ding. So hatte er sich ihrer schließlich annehmen müssen. Und nun ließ er sich Zeit mit ihr, viel Zeit, und versuchte so, die quälende Leere in seinem Dasein zu überbrücken.
Aber jetzt kamen sie immer näher, diese Unwissenden. Die Polizei. Die Zeitung. Diese einfältige Frau, die glaubte, sich auch noch einmischen zu müssen. Aber sollten sie doch kommen. Völlig gelassen sah er dem Finale entgegen. Wenn seine Mission hier enden sollte, hieß es, sich fügen. Er war bereit. Er hatte nichts zu verlieren. Que sera, sera – die Liedzeile setzte sich in seinem Kopf fest und erfüllte ihn mit leiser Heiterkeit.
Erol Altül war schon rein äußerlich eine beeindruckende Figur. Ein hoch gewachsener Mann mit graumeliertem Haar und akkurat gestutztem Bart, mit besten Manieren, sehr gut gekleidet, aber mit einer lässigen Note. Man hätte den Import-Export-Kaufmann auch gut für einen italienischen Modeschöpfer halten können. Sollte das plötzliche Auftauchen der Polizei in seiner Firma bei ihm Befremden ausgelöst haben, so ließ er sich das nicht anmerken.
»Sie können sich natürlich denken, dass Ihr Besuch bei mir schmerzhafte Erinnerungen wachruft, zumal es jetzt genau ein Jahr her ist, dass wir Selma verloren haben«, stellte er in ausgezeichnetem Deutsch fest, als Angermüller ihm sagte, dass sie wegen seiner vermissten Tochter hier wären.
»Leider können wir es nicht vermeiden, darüber mit Ihnen zu sprechen, Herr Altül, denn es gibt da eine ganz bestimmte Entwicklung.«
Der Geschäftsmann sah den Kommissar ahnungsvoll an. »Sie glauben an einen Zusammenhang mit diesen Rosenmorden, über die alle Zeitungen heute so groß berichten, nicht wahr?«
»Wir müssen jeder Verbindung nachgehen. Natürlich ist es nur eine Vermutung, aber wir können zu diesem Zeitpunkt auch nichts ausschließen. Es tut mir leid, das so sagen zu müssen.«
Altül schloss für einen Moment die Augen. Dann straffte er sich. »Sagen Sie, wie ich helfen kann.«
»Vielen Dank, Herr Altül. Wenn Sie uns nur ein paar Fragen beantworten, hilft uns das schon sehr«, antwortete Angermüller. »Wir haben gehört, zwischen Ihrer Tochter und Ihnen gab es Unstimmigkeiten wegen der geplanten Heirat mit einem jungen Mann, dem Sohn Ihres Geschäftspartners, richtig?«
Der Blick des Gefragten schien in dem Versuch, sich erinnern zu wollen, nach innen zu wandern.
»Ich habe drei Söhne. Selma ist meine einzige Tochter. Sie war immer mein Liebling, mein Sonnenschein. Ich fürchte, ich habe sie auch ein bisschen zu sehr verwöhnt.« Ein schwaches Lächeln glitt über sein markantes Gesicht. »Wie konnte das Kind nur glauben, ich würde sie zwingen, Osmans Sohn zu heiraten? Es wäre eine gute Partie und für beide Seiten sehr vorteilhaft gewesen, das stimmt. Der junge Mann ist gebildet, hat studiert, auch Selma hätte studieren können, wenn sie das gewollt hätte. Ihr zukünftiger Ehemann hätte sicher nichts dagegen gehabt. Doch gleich, als ich ihr von dieser Idee erzählte, Osmans und meine Familie durch eine Heirat noch enger miteinander zu verbinden, reagierte sie völlig abwehrend. Sie ließ überhaupt nicht mit sich reden. Sie schloss sich in ihr Zimmer ein, sie heulte, sie schrie. Natürlich habe ich eine ganze Weile versucht, Selma von den Vorzügen einer solchen Verbindung zu überzeugen, aber je länger es dauerte, desto weiter entfernten wir uns voneinander. Es tat mir weh, dass sie ihrem Vater nicht vertraut hat. Ich könnte sie doch niemals unglücklich sehen.«
Angermüller war klar, dass hier ein Vater seine Handlungsweise, vor allem vor sich selbst, zu rechtfertigen versuchte.
»Aber warum hat Selma dann so hysterisch auf Ihren Vorschlag reagiert, den jungen Mann zu heiraten? Fühlte sie sich nicht doch unter Druck gesetzt? Sie hat ja sogar Kontakt zu einer Beratungsstelle für Migrantinnen aufgenommen.«
»Hat sie das?«, fragte Altül erstaunt und schüttelte den Kopf. »Das wusste ich nicht. Ich hoffe, Sie denken nicht, wir hätten beabsichtigt, eine Zwangsheirat, wie das hier in den Medien immer genannt wird, durchzusetzen, oder einen Ausweg nur im Ehrenmord gesehen.« In den Worten des Geschäftsmannes schwang bittere Ironie.
Angermüller machte eine unentschiedene Geste. »Ich weiß nicht, was ich denken soll, ich
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