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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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Billy
auf die Finger geklopft, dazu hatte Harris Cecil überredet, und dann geht der
Junge los und bringt jemanden um.
    Das war die reine Protektion, sie wollte, dass er Wunder wirkte, dafür
war es aber jetzt zu spät, das Räderwerk war schon in Gang, und Billy hing da
drin. Er merkte, dass er wütend wurde, beinahe wäre er aufs Bremspedal getreten
und hätte den Truck herumgeschleudert, das Leben, das er aufgebaut hatte, war
gut, und an der Ausgeglichenheit hatte er lang gearbeitet, er konnte spüren,
wie sie aufgestört wurde. Er zwang sich dazu, weiterzufahren, und schnell
verflog die Wut. Das meiste, was man fühlt, ist schnell verflogen. Tja, was
soll’s, verkündete er seinem Lenkrad. Ich langweile mich.
    Da war auch noch die Virgil-Frage. Harris merkte, wie die nächste
Welle seiner Wut aufbrandete, Wut und Verletztheit, aber das war auch kein
Schandmal, manche Dinge liefen halt so. Virgil Poe war außerstande, einen Job
nicht zu verlieren, er war dümmer, als die Polizei erlaubte, fieser auch, und
ein geborener Lügner. Trotzdem war Grace zwanzig Jahre lang hinter ihm
hergelaufen. Zweimal hatte Harris dem Jagdaufseher dabei geholfen, Virgils
Vater zu verhaften, das lag wohl in der Familie. Dann der Zwischenfall mit dem
gestohlenen Kupfer. Jeder konnte Virgil gut durchschauen. Bis auf Grace. Nun
schau mal, wessen Sohn du da geschützt hast. Ja, dachte er, der hat dich
geschlagen. Warum hast du ihn bloß nicht verhaftet? Einmal hatte er die Akte
Virgil Poe im Polizeicomputer aufgerufen, zwei offene Haftbefehle, mehr als
einen Anruf hätte es da nicht gebraucht. Aber Bud Harris war nicht so ein
Mensch.
    Fahrt durch die Stadt, vorbei an seinem alten Polizeirevier und an
dem neuen. Er hatte den Absturz miterlebt, wie alle Stahlwerkeverrammelt wurden
und darauf die große Wanderung einsetzte. Wanderung ins Nirgendwo – Tausende
Leute zogen um nach Texas, Zehntausende höchstwahrscheinlich, in der Hoffnung,
Arbeit auf den Bohrinseln zu finden, aber solche Stellen gab es auch nicht oft.
Und so standen die Menschen nachher schlechter da als vorher, pleite, arbeitslos
und in der Fremde, wo sie keinen kannten. Und die anderen waren schlicht
verschwunden. Was man aber gar nicht merkte. Harris kannte Leute, die von einem
Stundenlohn von dreißig Dollar auf vierfünfzehn abgesackt waren, stämmige
Stahlarbeiter, die mit steinernem Gesicht die Lebensmittel an der Kasse in
Tüten einpackten, es fiel keinem leicht, mit so was umzugehen, leicht, das gab
es gar nicht. Er war ursprünglich hier rausgezogen für ein leichtes Leben,
lieber Kleinstadtpolizist sein als so einer, der in Philadelphia Kopfnüsse
verteilt, aber die Arbeit hatte sich sehr bald verändert, als die
Stahlwalzwerke untergingen – schon ging’s wieder los, das Kopfnüsse-Verteilen.
Das gehörte nicht zu seinem Wesen, doch er hatte es gelernt, es regelrecht
studiert, gelernt, die Züge seines Gegenübers zu beobachten, wenn er es tat. Er
hatte einen Fehler gemacht, als er Virgil Poe verschonte. Reiner Stolz war das
gewesen.
    Diesmal fühlte es sich anders an mit Grace, er wusste nicht warum,
es kam ihm wirklich vor, als wär der Bauernrowdy von der Bildfläche
verschwunden. Jetzt kommt der Ersatzreifen zum Einsatz. Der Ersatzreifen bist
du. Er war sich unsicher, bei allem. Es gab Menschen, die dazu bestimmt waren,
allein zu sterben, und vielleicht gehörte er dazu. Jetzt überhol dich mal nicht
selber, dachte er.
    Da war der Feldweg, der zu Graces Trailer führte. Noch hatte er Zeit
zum Umkehren – die Nacht war klar und kalt, er hatte einen Humidor voller
Zigarren, eine gute Flasche Scotch, der Hund würde sich freuen, ihn zu sehen.
Auf seiner Veranda standen schon die Gartenstühle, heute Nacht könnte er
draußen sitzen, Weihnachten hatte er sich etwas gegönnt und seinen altenSchlafsack gegen ein teureres Daunenmodell ausgetauscht, in Colorado
hergestellt, den ganzen Winter hatte er sein abendliches Bergpanorama von der
Veranda aus bewundert, ganz egal, wie kalt es wurde, selbst nach Eisstürmen,
wenn sich nichts rührte, meilenweit die absolute Stille, bis aufs Eis, das in der
Kälte knackte. Und dazu die Wärme in dem Schlafsack. Das Gefühl, der einzige
Mensch auf Erden zu sein. Demnächst musste er sich mal ein Teleskop besorgen.
Nächstes Weihnachten vielleicht.
    Die Straße endete an einem Erdwall, und er stellte seinen Wagen neben
Graces Trailer. Sie erwartete ihn schon auf der Veranda, und er reichte ihr die
mitgebrachte Flasche Wein und

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