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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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und blau schlagen. Was
hatte er getan? Er hatte sich am Hals verletzen und die Eier beinahe abreißen
lassen, sonst nichts. Er hatte jetzt genug bezahlt. Er hatte in der Nacht für
alles bezahlt, was er je getan hatte. Und Isaac, der hatte nichts bezahlt,
nicht ein verficktes bisschen.
    Draußen herrschte wieder der gewöhnliche Krach, das Geschrei und die
Musik wie immer, ohne Sinn, ohne Verstand, und unter ihm rutschte der
Zellenkumpel auf seiner Matratze hin und her, versuchte es sich irgendwie
bequem zu machen. Isaac würde hier massakriert werden, die ganzen fünfzig Kilo.
Diese Typen würden ihn als Snack verschlingen. Deshalb war er hier gelandet,
Billy Poe. Er tat das Richtige. Er war ein Held. Er würde sich verhalten, als
ob andere ihm zusähen – dann würden die Gedanken und die Handlungen stets
sauber bleiben. Das war doch der Schlüssel, eigentlich zu allem: Tu so, als ob
andere dir zusehen. Wie auf dem Spielfeld, wo ein Haufen großer Kerle dich
vernichten will, da hattest du ja auch die Wahl. Wolf oder Schaf, wenn du dich
nicht entscheidest, wird für dich entschieden. Jäger oder Jagdwild, Raubtier
oder Beute, alle wussten, es war dieses uralte Verhältnis.
    Aber das war’s nicht allein. Es war nicht reiner Edelmut von ihm.
Die schlichte Wahrheit lautete, dass dieser Ort auf ihn gewartet hatte. Es gab
Menschen, die Talente hatten, und die anderen, die keine hatten, selbst in
seinen Ruhmestagen hatte er gewusst, dass die es eines Tages merken würden, das
war eine Keule, der er niemals würde ausweichen können. Zwar hatte seine Mutter
Hoffnungen gehabt, er aber hatte es gewusst. Eswar sein eigenes Inneres.
Sein Glück war aufgebraucht, jetzt lebte er sein Schicksal, und in Anbetracht
der Dinge hatte er noch Glück gehabt.
    Er würde diesen Wärter plattmachen. Und sonst wen auch. Er würde es
so handhaben, als müsste er ein Spiel gewinnen. Würde früh den Korridor
betreten und das Ganze in Gedanken einmal durchspielen, sich vorstellen, wie
der schon unten lag. Er würde diesen Wärter rücklings attackieren, dass er sein
Gesicht nicht sah. Hier kam es nur auf deine Taten an, die Handlungen, wie
andere sie sahen, das hatte er neulich morgens nicht gewusst, in der Kantine, doch
jetzt wusste er es. Und dann dachte er: Nein. Kann’s nicht machen. Nein. Er
konnte diesen Wärter nicht verprügeln. Seine Beine zitterten schon wieder, und
er musste pinkeln, und er kletterte von seiner Koje runter, danach ließ er
Wasser in das Becken laufen, um sich das Gesicht zu waschen.
    Tucker war zu hören: »Wenn du das machst, weckst du mich. Du musst
die Nacht da oben bleiben, wenn du dich mal hingelegt hast.«
    »Was, erst weckst du mich mit deinem Rumgewichse und jetzt sagst du
mir, wann ich zu pissen habe.«
    »Stimmt«, sagte er. »Und ich sag’s dir auch nicht zwei Mal.«
    »Red, so viel du willst«, sagte Poe. »Ist mir scheißegal.«
    Er wollte sich gerade wieder in die Koje schwingen, als er hörte,
wie Tucker da unten sein Gewicht verlagerte, er holte aus und traf ihn hart,
voll ins Gesicht, gerade als er aufstehen wollte, Tucker kippte auf sein Bett,
schien aber davon abzuprallen, irgendwie, er schnellte wieder hoch und stürzte
sich auf Poe. Sie gingen sich gleich an die Gurgel, rollten grunzend auf dem winzigen
Stück zwischen Wand und Doppelstockbett hin und her, es war ein zäher Kampf,
ein Ringen um den Hebel, um den Würgegriff, nur dass Poe weitaus stärker war.
Einige Schläge konnte er gut landen, und bald hielt er Tuckers Kopf zwischen
den Händen und knallte ihn auf den Boden.
    Bis er merkte, dass der andere nicht mehr zurückschlug unddie
Lichter angegangen waren. Draußen vor dem Käfig standen schon die Wärter. Er
hob zwar die Hände, doch sie setzten trotzdem ihren Pfefferspray ein, hieben
ihm die Schlagstöcke über den Rücken und die Beine, das war anders als ein
Faustschlag, und er spürte ganz genau den Schaden, den sie anrichteten. Er
versuchte sich zu schützen, endlich hörten sie auf, er konnte nichts sehen,
seine Augen brannten, und er schrie nach Wasser. Dann ließ er sich Handschellen
anlegen, auf die Füße stellen und den Gang entlangzerren, die anderen Häftlinge
brüllten herum, sie waren alle wach und sahen zu, und er war blind, erstickte,
weinte, alles nass, er wusste nicht, ob Wasser, Spucke, Tränen oder Blut. Er
stolperte und rempelte wen an, einen der Wärter, und sie dachten, dass er sich
jetzt losreißen wolle, und schlugen wieder zu, er ging zu Boden.

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