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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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habe meinen Sohn verloren, ist schon etwas her. Und weißt du, ich muss
immer an ihn denken.«
    »Wie alt war er?«
    »Sechsundvierzig.«
    »Jung.«
    »Es ging so schnell. Es dauerte vielleicht ein Jahr, aber es fühlte
sich an wie zack-bumm. Er hatte schon mit zwölf mit Rauchen angefangen, klar,
und dann der Krieg, geholfen hat das sicher nicht.«
    »Der Krieg jetzt?«
    »Nein, der erste, den sie drüben hatten, ’ 91 .«
    »Tut mir leid für dich«, sagte Grace.
    »Rad des Lebens, sag ich immer.«
    »Gnädige Frau, hier hinten wären wir auch an Bedienung interessiert«,
rief von dem anderen Tresenende her ein Mann. Es war als Scherz gemeint. Er
zwinkerte Grace zu.
    »Du gibst nie Trinkgeld«, rief Bessie zurück.
    »Wenn sie dich besser kennenlernt, wird sie dir auch keins geben.«
    »Ja, ja, aber du gibst hier fünf Dollar aus. Einen pro Stunde.«
    »Ich will dich nicht von der Arbeit abhalten«, bemerkte Grace.
    »Die können mich mal« sagte Bessie, richtete sich auf und schüttelte
den Kopf. » Gnädige Frau . Du glaubst es nicht.«
    ***
    Eine halbe Stunde später waren Ray und Rosalyn noch immer nicht
erschienen, und sie war mit einer Frau in Blickkontakt, die sie ein paarmal
angelächelt hatte, einer falschen Blonden, Frau von Howard Peele von Peele Bedarf , der Firma, die den Zechen Rohre und weiteres
Zubehör verkaufte und einer der beiden größten Arbeitgeber in der Stadt war.
Sie war ein paar Jahre jünger als Grace, vielleicht zwanzig Jahre jünger als
ihr Mann, in engen schwarzen Hosen und einem hautengen Top in Pink, und lief
immer auf Absätzen. Grace überlegte, wie sie hieß. Hast Virgil mal erwischt, wie
er ihr schöne Augen machte, bei dem Barbecue von irgendwem, und deshalb
konntest du sie niemals leiden. Heather. So jemand wie sie würde natürlich,
realistisch, für so jemanden wie Virgil niemals das alles riskieren. Es war
damals schwer, sich das einzugestehen. Gerade eben, an der Bar, hatten zwei
Männer über was gelacht, das Heather abgelassen hatte, aber Grace merkte genau,
dass sie es eigentlich nicht witzig fanden.
    Gerade raffte sie sich auf und wollte heim, als Ray und Rosalyn
hereinkamen.
    Ray trug ein schuldbewusstes Lächeln. »Tschuldige, dass wir zu spät
dran sind – Cubs gegen Pirates.«
    »Tut uns leid«, ergänzte Rosalyn. »Das Arschloch hier.« Sie wies auf
ihren Mann. »Ich hol uns was zu trinken. Wollt ihr an den Tisch da drüben?«
    Ray küsste sie auf die Wange und ließ sich ihr gegenüber nieder.
»Na, wie geht’s, Prinzessin?«
    »Ist okay für mich, würde ich sagen«, meinte sie.
    »Ich könnt’s verstehen.«
    Grace vertiefte sich in ihren Drink.
    »Ich mein, du weißt ja, du hast all mein Mitgefühl, Grace. Weißt
du … Gott.« Er schüttelte den Kopf. »Ich hab es nicht so mit dem Reden.«
    »Dank dir, Ray.« Sie tätschelte Rays Hand.
    »Erwartest du noch jemanden?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Es tut mir leid, dass wir verspätet sind, ist meine Schuld.« Hinter
ihm tauchte jemand auf, und Grace sah hoch. Die falsche Blonde war gekommen.
    »Kennt ihr euch?«, erkundigte sich Ray.
    »Wir wurden uns schon zirka zehn Mal vorgestellt. Ich heiße Heather,
das ist Grace.«
    »Kann mich erinnern«, sagte Grace.
    »Ich setz mich mal, wenn das okay ist? Ich muss weg von diesen
Hohlköpfen.«
    Ray wies mit großer Geste auf den Stuhl, als Rosalyn gerade mit drei
Gläsern Wein zurückkam.
    »Ach, hi, Schätzchen«, sagte Heather.
    »Brauchst du noch eins«, sagte Rosalyn.
    »Um Gottes willen. Ich brauch einen, der mich bremst.«
    »Ray, krieg mal deinen Arsch hoch und hilf Essen tragen.«
    Ray verschwand mit Rosalyn in Richtung Tresen.
    Heather lächelte. »Dein armer Sohn. Es tat mir so leid, als ich das
gehört hab.«
    »Danke schön.«
    »Und falls du etwas brauchst, du weißt ja …«
    »Uns geht’s gut.«
    »Ich kann verstehen, was du durchmachst, wirklich.«
    Eine unbehagliche Stille trat ein, und Grace warf einen Blick zu Rosalyn
und Ray, die immer noch am Tresen standen, ins Gespräch verstrickt.
    »Erzähl mir noch mal, wie du Howard kennengelernt hast«, sagte sie.
    »Er hat mich als Sekretärin engagiert. Erst war ich Barkeeperinin New Martinsville, da kam er rein und bot mir einen Job an. War zwar
ziemlich eindeutig, das Ganze, aber … tja …« Sie zuckte mit den Achseln.
»Jedenfalls hat er sich dafür anstrengen müssen.«
    »Vermisst du deine Heimatstadt manchmal?«
    »Um Gottes willen. Howard musste mir bloß für die Zähne schon zehn
Riesen

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