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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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Danach
schleiften sie ihn weiter, offenbar waren es viele, zerrten ihn nach unten,
eine Treppe runter, er hielt angestrengt den Kopf hoch, dass er nicht auf den
Beton knallte, sie leerten einen Eimer Wasser über seinem Kopf aus, seinen
Augen ging es besser, und dann hievten sie ihn hoch und legten ihn vornüber,
irgendwo drauf, jetzt kommt das, dachte er, das ist der Moment, wo sie’s dir
wegnehmen. Doch dann kriegte er nur mehr Wasser ins Gesicht, aus einem
Schlauch, sie spritzten es direkt in seine Augen. Es war bloß ein Becken, und
sie wuschen sein Gesicht. Er kam in einen anderen Teil des Gefängnisses, in den
Keller, eine Zelle, die genauso groß war wie die erste, nur mit einer
Einzelkoje. Er legte sich lang, auf die Matratze, die zu dünn war, spürte die
Erleichterung, dass seine Augen nicht mehr brannten.
    Einer von den Wärtern war noch immer da, das hörte er. Er hörte, wie
er eine Zigarette anzündete, und er roch es.
    »Hast du Geld«, sagte er.
    »Nein«, antwortete Poe. Seine Nase lief noch immer heftig von dem
Pfefferspray, er musste sich aufsetzen, damit er sich auf den Boden schneuzen
konnte.
    »Musst doch jemand haben, den du anrufen kannst.«
    »Nicht so richtig.«
    »Tja«, sagte der Wärter nachdenklich, bot Poe den Rest der Zigarette
an, und der stand auf, um ihn zu nehmen.
    »Ist egal, ob du die Gründe kennst oder nicht«, sagte er,
»jedenfalls sind wir alle froh, dass gerade dieser weiße Nigger eine Abreibung
gekriegt hat. Aber das war ziemlich dumm von dir. Das werden sie dir niemals
durchgehen lassen.«

4 . Harris
    Natürlich wollte er auch heute Abend Grace besuchen, doch die
Ruhige Kugel wusste, dass es besser war zu warten. Alles locker angehen. Auf
halbem Weg zum »Lager« kam ihm der Gedanke, einen ganzen Abend mit dem Hund
allein zu Haus zu sitzen, einsamer vor, als er grad ertragen konnte. Harris
fuhr rechts ran und ging sein Handy durch. Da, Riley Coyles Nummer.
    »Ich zieh heut um die Häuser, mit der üblichen Wichsergang«, sagte
Riley. »Wenn du Lust hast, komm doch ins Dead End .«
    Er fuhr nach Hause, zog die Uniform aus und begab sich wieder in die
Stadt. Natürlich war der halbe Grund, nein, nicht der halbe, etwas weniger
vielleicht, ein Fünftel war, dass er von seiner Hütte aus mit ein paar Drinks
intus bei Grace anrufen würde. Die natürlich dran ginge, und dann …
    Das Dead End war eine der wenigen Bars,
die auch nach der Schließung des Stahlwalzwerks immer offen geblieben waren,
der Witz kursierte, dass sie seit dessen Eröffnung keiner mehr geputzt hatte.
Der Raum war lang und holzgetäfelt, schummrig und gemütlich, und man hatte von
der hinteren Veranda einen Blick aufs Wasser. Riley, Chester und Frank hatten
im Stahlwerk gearbeitet, bevor es dichtmachte. Irgendwann hatte U.S. Steel Frank wieder eingestellt, in Irvin, Riley hatte
eine kleine Schlosserei eröffnet, Chester hatte einen MBA gemacht, bewegte sich in etwas anderen Kreisen und war tätig als Berater für
die Pharmaindustrie. Als Harris in die Bar kam, saßen alle drei an einem Tisch
und flirteten mit der Besitzergattin.
    »Jungs.«
    »Oh, der Herr Recht und Ordnung«, sagte Riley zu der Gattin, einer
reizvollen Brünetten, Graces Alter ungefähr. Siewirkte auffallend verkrampft,
seit Harris da war. »Er sagt, er hat Durst.«
    »Ich brauch nichts«, sagte Harris.
    »Er hat Durst«, beharrte Riley. Die Brünette kehrte, Harris anlächelnd,
zur Bar zurück. Es war nur schwer zu glauben, dass der Fette Stan, der Barbesitzer,
diese Frau abgekriegt hatte. Keine große Auswahl hier im Tal. Ganz klar, dachte
er. Schau dich an. Und eine Frau wie Grace … Jetzt erst mal hinsetzen.
    »Wie geht es euch?«
    »Mir blendend«, sagte Frank. »Der schönste Tag in meinem Leben.«
    »Frankie hat sich grad ein neues Spielzeug angeschafft«, erklärte
Chester. »Hätt er mitgebracht, wenn es ihm seine Frau erlaubt hätte.«
    »Du hast dir endlich die Corvette geholt?«
    »Nee«, sagte Frank. »Bloß einen Allrader. 660 er
Yamaha, Allradantrieb, Automatik, Schneepflug, Winde, alles. Inklusive Anhänger
für hintendran.«
    »Der hat wahrscheinlich mehr gekostet als dein Truck«, steuerte
Riley bei.
    »Es gibt schon Skateboards, die mehr kosten als mein Truck«, und
Harris nickte Frank zu. »Kümmert sich die Firma gut um dich?«
    »Jep. Haben jetzt einen Gewinnbeteiligungsplan für uns aufgelegt,
und ihre Aktien sind hundert Prozent hochgegangen. Übrigens, wir haben gerade
Benny Garnics Sohn

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