Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
Vom Netzwerk:
Moment musste sie weinen. Aber nicht zu viel. Sie nahm die
Flasche Whiskey, die er dagelassen hatte, schraubte den Verschluss auf, fand es
aber eklig, dass sein Mund da drangewesen war. Ab in den Müll.
    Die Sonne sank. Sie hoffte, Billy käme bald nach Hause, aber was,
wenn nicht? Ein Hund, das wär’s vielleicht. Es war noch nicht zu spät fürs
Frauenhaus, die konnten immer Hilfe brauchen. Oder Harris anrufen.
    Ihr wurde plötzlich klar, wie grausam Virgil war, er war bloß eine
leere Hülle, war sein ganzes Leben lang allein mit seinem guten Aussehen
durchgekommen, doch das würde sich bei ihm bald ändern, wie bei ihr, und übrig
blieb dann – nur das Armselige. Billys Seiten, die ihr Sorgen machten, wie der
Jähzorn, hatte er direkt von Virgil. War ihr das nie aufgefallen? Doch, das
schon, sie hatte aber immer lieber weggeschaut. Sie traf gerade eine weitere
Entscheidung, und es fühlte sich so an, als wäre die für sie getroffen worden,
und in diesem Augenblick schien es unmöglich, dass sie Virgil je geliebt hatte.
Sie dachte, du stehst unter Schock, sonst nichts, doch nein, es war, als hätte
jemand einen Schalter umgelegt.
    Am Fenster standen die Tomaten, und sie brachte sie nach draußen,
holte eine Schaufel aus dem Schuppen hinter Billys halbfertigen Projekten, wie
dem Ersatzteil-Auto, das er sich gekauft hatte, damit sein anderer Wagen
fahrtüchtig blieb, und dem Aufsitzrasenmäher und dem Allradantrieb. Wieder
machte sie sich Sorgen um ihn, wie er gestern Nacht mit dieser Schnittwunde am
Hals nach Haus gekommen war. So etwas war schon oft passiert, noch nie so
schlimm, doch dass er Ärger anzog, stimmte trotzdem. Längst hätte sie ihn hier
wegbringen müssen.
    Sie trat die Schaufel mit Wucht in die Erde, pflanzte alle sechs
Tomaten und die Paprika gleich mit, sie setzte die Spaliere und trat drauf,
damit sie hielten. Es war schön, im Wind zu stehen, die Hände schmutzig, auf
die Pflanzen, das frisch umgegrabene Erdreich zu blicken und draußen auf die wogenden
Hügel, die Aussicht war schön. Einundvierzig war nicht alt. Fast noch zu jung,
um Präsident zu werden. Sie beschloss, Bud Harris anzurufen. Denn der war ein
guter Mann, das wusste sie seit langem.
    Klar, sie hätte auch so weitermachen können, ganz allein, nur, was
für einen Sinn sollte das haben. Eine Woche fühlst du dich ganz stark, und dann
bist du allein, das war’s. Bud Harris war ein guter Mann, ein bisschen
unbeholfen zwar, aber was soll’s, den Kerlen, denen Reden leichtfiel, machte es
auch keine Schwierigkeiten, hinter deinem Rücken rumzuvögeln. Das hast du
verstanden, als es schon zu spät war. Dabei war es nicht zu spät. Bud Harris
wurde respektiert, es gab ja einen Grund, warum sie Virgil fast für ihn
verlassen hätte, zwei Mal hatte sie darüber ernsthaft nachgedacht, und Virgil,
Virgil respektierte keiner, dafür gab es gleichfalls einen Grund. Heut Nacht
schlaf ich mit Buddy, dachte sie, das wird mich reinigen, die Vorstellung gab
ihr ein Hochgefühl. Mit Virgil hatte es schon Schlimmeres gegeben, einmal, als
er zu ihr kam, da klebte der Geruch von anderen Frauen noch an ihm. Sie fragte
sich, ob er sie angesteckt hatte mit irgendwas. Sie war schon untersucht
worden, doch meistens hatte sie verlangt, dass er Kondome nahm, das war das
einzig Schlaue, das sie je getan hatte.
    Sie ging im Trailer auf und ab. Als sie ihn kauften, schwor ihr
Virgil, es sei vorläufig, bald würden sie ein Haus bauen. Erstaunlich, dass sie
das geglaubt hatte. Es war ein alter Trailer, immerhin in Doppelbreite, aber
überall zog es herein, und dann die falschen Holzpaneele aus den Siebzigern,
sie hatte sich in Unkosten gestürzt für neue Teppiche, doch weil der Junge
ständig raus und rein lief, waren sie schnell wieder ruiniert. Die
Plastikschutzbezügeauf der Couch, die Virgil wollte, hatte sie verhindert.
Und da saß sie nun und ließ sich treiben, die Gedanken schweifen, tja, aber
wozu das alles, statt herumzuträumen, musste sie ihr Leben wieder in den Griff
bekommen. Wenigstens der Garten war geschafft. Das war ein Fortschritt, der
sich übers Jahr auszahlen würde.
    Fast hätte sie Harris auf dem Handy angerufen, doch dann stellte sie
sich vor, wie er sich fühlen würde, wenn er mitbekam, dass Virgil gerade
dagewesen war. Das war nicht fair. Ganz abgesehen davon, dass auch er vielleicht
andere Frauen traf. Und davon, dass sie ihn schon zwei Mal wieder abserviert
hatte. Sie musste ihn lieb fragen. Und ihm seine Würde lassen. Auf

Weitere Kostenlose Bücher