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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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die Wasseroberfläche
reflektierte, war zu viel, man konnte gar nicht hinsehen, und Grün ringsum, da
wuchs so viel, und auf dem Wasser war einer, der mit dem Schleppnetz angelte,
ein kleines Boot, ein Rentner in den unbeschwerten Jahren.
    Harris ließ nicht locker: »Weißt du, dass ich ihr mal einen Job in
Philadelphia besorgt hatte. Als erste Assistentin der Geschäftsleitung,in
dem Büro des Staatsanwalts. In deiner jetzigen Lage klingt das vielleicht
ironisch, na, egal, sie hätte jährlich vierunddreißigtausend kriegen können,
Altersversorgung, ich hatte alles für sie eingetütet, aber bei dir lief es grad
so gut beim Football, und sie wollte dich noch nicht von deinem Vater trennen.
Ich wollte sie überzeugen, ich hab ihr gesagt, du könntest deine
Sportlerkarriere überall fortsetzen, und was deinen Vater angeht, der hat wohl
in seinem Leben zirka zweimal Unterhalt gezahlt. Das ist sechs Jahre her, da
warst du in der neunten. Und sie meinte, erst wenn du zur Uni gehen würdest,
könnte sie auch weg, und als es so weit war, bist du bei ihr geblieben, hast
bei ihr schmarotzt und konntest nicht mal als Regalfüller pünktlich zur Arbeit
kommen.«
    »Der Besitzer hat uns alle rausgeworfen«, sagte Poe. Er war für
Harris unempfänglich. Sie erreichten jetzt die Stadt. Er wollte keine Predigt
hören, Harris sollte ihm mal lieber einen Tipp geben, wie man sich bei der
State Police verhielt.
    »Deine Mutter ist ein guter Mensch«, fuhr Harris fort. »Dir ist gar
nicht bewusst, wie viel du ihr verdankst.«
    »Meine Mutter ist verheiratet.«
    »Komm, bitte«, sagte Harris. »Schließlich hat dein Vater mit der
Hälfte aller Frauen in der Stadt herumgemacht. Ein Wunder, dass du nicht noch
zig Geschwister hast.«
    »Du bist ein Drecksack, weißt du das?«
    Sie fuhren auf den Parkplatz des Reviers, doch Harris machte keine
Anstalten, gleich auszusteigen. »Billy«, sagte er, »erinnerst du dich, wie oft
du und deine Footballkumpel wegen öffentlichen Trinkens eingebuchtet worden
seid?«
    Poe schnaubte. »Ich bin nie deshalb verknackt worden.«
    »Tja. Kommt man glatt ins Nachdenken. Was war denn an dem Tag, als
einer meiner Jungs euch angehalten hat, mit siebzig in der Tempo- 30 -Zone, und ihr zu besoffen, um das Leergut aus dem Fenster
zu entsorgen? Oder, warte mal, ob ich das richtig in Erinnerung habe – als du
mit dem Baseballschläger einen jungenKerl am Kopf getroffen hast, obwohl er
schon am Boden lag und keinem, weder dir noch sonst wem, mehr gefährlich werden
konnte, und du bist trotz allem auf Bewährung rausgekommen.«
    Poe sagte kein Wort.
    »Du dachtest wohl, du hättest großes Glück gehabt?«
    »Ich kann das jetzt nicht hören.«
    »Du hast überhaupt kein Glück gehabt. Du bist verwöhnt und dumm, und
in den letzten sieben bis acht Jahren hab ich mich ganz schön verbogen, um dich
vor dem Schlimmsten zu bewahren.«
    »Du willst dich bloß besser fühlen, deshalb sagst du das jetzt.«
    »Du hast viel zu viel von deinem Vater abgekriegt. Und das ist verdammt
schade für uns alle, insbesondere für deine Mutter.«
    »Du hast Glück, dass ich hier hinten sitze«, sagte Poe. »Und dass
diese beschissene Trennwand dazwischen ist.«
    »Heb dir den Scheiß mal für den Knast auf«, sagte Harris. »Und ich
garantier dir, dass du’s brauchen wirst.«
    Harris stieg aus, öffnete Poe die Tür und führte ihn in das Gebäude.
Ho, der dicke Cop, saß an demselben Tisch, als hätte er sich in den letzten
vierundzwanzig Stunden nicht bewegt.
    »Die Staties hier?«
    »Nein«, sagte Ho. »Ihr Chief, die Dumpfbacke, hat angerufen und
gesagt, wir sollen ihn in Uniontown abliefern.«
    »Mach die Fotos und die Fingerabdrücke«, Harris nickte in Poes
Richtung.
    Dann verschwand er, Poe wurde in einen kleinen weißen Raum mit einem
hüfthohen Tresen geführt. Er rechnete damit, dass der Chinese grob zu ihm sein
würde, war er aber nicht.
    »Halt deine Hände locker. Lass mich deine Finger abrollen. Wenn du
die Abdrücke verschmierst, muss ich noch mal von vorne anfangen.«
    »Ich werd sie nicht verschmieren.«
    Harris steckte seinen Kopf herein.
    »Bevor du diesen Arsch hier knipst, schick ihn ins Bad, er soll sich
richtig waschen und rasieren. Weil der andere Arsch mit diesem Foto alle
Zeitungen pflastern wird, unter Garantie.«
    Er musterte Poe: »Wenn dich irgendjemand etwas fragt, sagst du von
nun an Anwalt . Wenn dich einer fragt, ob der Himmel
blau ist, sagst du weder ja noch nein, du sagst nur Anwalt .
Wenn dich

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