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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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kleinen Sünde, und sein Gesicht ist finster; während auf der Stirn dieses Napier, den jeder als Halunken kennt, friedsames reines Glück strahlt.« Übrigens hatte der Abbé der sündhaften Welt große Zugeständnisse gemacht. Er hatte sich einen Diener genommen und ging gut gekleidet.
    Julian merkte, daß im Salon etwas Besonderes vorging. Aller Augen richteten sich auf die Tür, und plötzlich trat beinahe Stille ein. Der Lakai meldete den berüchtigten Baron von Tolly, auf den sich anläßlich der Wahlen aller Aufmerksamkeit richtete. Julian trat etwas vor und konnte ihn sehr gut sehen. Der Baron hatte als Wahlvorsteher den genialen Einfall gehabt, die in seinem Wahllokal abgegebenen Stimmzettel der einen Partei verschwinden und durch Zettel ersetzen zu lassen, die einen brauchbareren Namen trugen. Dieses entscheidende Manöver war von einigen Wählern bemerkt worden, die sich beeilten, dem Baron von Tolly zu gratulieren. Der Biedermann war noch ganz blaß von dieser Staatsaktion. Böse Menschen hatten das Wort Zuchthaus fallen lassen. Herr von La Mole empfing ihn kalt, und der arme Baron empfahl sich wieder.
    »Er hat es eilig. Wer weiß, zu welcher Zaubersoiree er geht!« witzelte Graf Chalvet, und alles lachte.
    Unter etlichen stummen Würdenträgern und zumeist anrüchigen, aber durchweg geistreichen Intriganten, die heute abend die Säle des Hauses La Mole füllten (man munkelte, der Marquis bekäme ein Ministerium), machte der kleine Tanbeau seine ersten Versuche. Wenn es seinen Bemerkungen auch noch an Feinheit gebrach, so bot er seinen Zuhörern dafür wuchtige Worte.
    »Warum verurteilt man den Kerl nicht zu zehn Jahren Gefängnis?« sagte er im Augenblick, als sich Julian der Gruppe näherte. »In das tiefste Verlies müßten solche Reptile eingesperrt werden. Man sollte sie im Dunkeln krepieren lassen; sonst quillt ihr Gift über, und sie werden gemeingefährlich. Was hat es für einen Zweck, ihn zu tausend Talern Geldstrafe zu verurteilen? Er ist arm. Um so besser. Aber seine Partei wird für ihn zahlen. Viel dienlicher wären fünfhundert Franken Geldstrafe und zehn Jahre Zuchthaus!«
    »Du mein Gott, wer ist denn das Scheusal, von dem da die Rede ist?« dachte Julian, verwundert über den heftigen Ton und die ruckweisen Bewegungen seines Kollegen. Das schmale magere verzerrte Gesicht, das der Neffe des Akademikers hatte, sah in diesem Augenblicke geradezu widerlich aus. Julian merkte bald, daß es sich um den größten Dichter der Zeit handelte, um Beranger. »Bestie, du!« rief er halblaut, und Tränen des Edelmuts traten ihm in die Augen. »Warte nur, du Halunke! Dein heutiges Gerede will ich dir heimzahlen! Das sind also die Sturmtrupps der Partei, zu deren Führern der Marquis zählt! Und der berühmte Mann, den er verleumdet! Wie viel Orden und Sinekuren hätte er einheimsen können, wenn er sich verkauft hätte. Nicht gerade dem niedrigen Ministerium des Herrn von Nerval, aber irgendeinem in der Reihe der leidlich anständigen Minister.«
    Der Abbé Pirard winkte Julian von weitem. Herr von La Mole hatte eben ein paar Worte mit ihm geredet. Als Julian, der in diesem Augenblick mit niedergeschlagenen Augen der Jeremiade eines Bischofs zuhörte, endlich von ihm loskam und sich seinem Freunde widmen konnte, fand er ihn von dem abscheulichen kleinen Tanbeau mit Beschlag belegt. Dies kleine Scheusal haßte Pirard als den Quell von Julians guter Karriere und machte ihm nun den Hof.
    »Wann wird der Tod uns von dieser Pestbeule befreien?« In derlei Ausdrücken von biblischer Kraftfülle wetterte der kleine Literat gerade wider den ehrenwerten Lord Holland. Seine Stärke beruhte darin, daß er in der Lebensgeschichte seiner Zeitgenossen vorzüglich Bescheid wußte. Soeben hatte er alle Persönlichkeiten, die unter dem unlängst in England zur Regierung gekommenen Wilhelm IV. zu einigem Einfluß gelangen konnten, einer flüchtigen Musterung unterzogen.
    Der Abbé ging in den angrenzenden Salon, und Julian folgte ihm.
    »Der Marquis liebt die Literaten nicht. Ich sage Ihnen dies ausdrücklich. Es ist seine einzige Abneigung. Wenn Sie sich auf Latein oder Griechisch verstehen, wenn Sie in der persischen, ägyptischen und indischen Geschichte bewandert sind, so wird er Sie ob Ihrer Gelehrsamkeit schätzen und fördern. Aber schreiben Sie nie eine Seite Französisch, und besonders nicht über schwierige Dinge, die über Ihre gesellschaftliche Stellung hinausgehen. Dann sind Sie ihm ein Federfuchser, ein

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