Rot und Schwarz
war zugleich der Günstling des Herzogs von Alençon und der Busenfreund des Königs von Navarra, des späteren Heinrichs IV., des Ehemannes seiner Geliebten. Am Fastnachtstage des Jahres 1574 weilte der Hof mit dem unglücklichen König Karl IX., der im Sterben lag, in Saint-Germain. La Mole wollte die ihm befreundeten Prinzen entführen, die von der Königin Katharina von Medici am Hofe gefangengehalten wurden. Er ließ zweihundert Reiter vor die Mauern von Saint-Germain rücken. Aber der Herzog von Alençon hatte keinen Mut, und La Mole verfiel dem Henker.
Was nun Fräulein Mathilde ganz besonders rührt, wie sie mir selbst vor sechs oder sieben Jahren einmal eingestanden hat, als sie zwölf Jahre alt war ..., schon damals war sie ein Mordsmädel..., sage ich Ihnen ...« Der Akademiker seufzte und blickte gen Himmel. »Was sie bei dieser politischen Katastrophe geradezu erschüttert hat, das ist die Tatsache, daß die Königin Margarete von Navarra, die sich in einem Hause am Grève-Platz verborgen gehalten hatte, es wagte, den Henker um das Haupt ihres Geliebten bitten zu lassen. In der Nacht darauf, um Mitternacht, nahm sie das Haupt mit in ihren Wagen und begrub es eigenhändig in einer Kapelle am Fuße des Montmartre.«
»Großartig!« rief Julian ergriffen.
»Fräulein Mathilde verachtet ihren Bruder, weil er, wie Sie sehen, die alte Historie nicht in Ehren hält und am 30. April keine Trauer anlegt. Seit dieser berühmten Hinrichtung tragen übrigens alle männlichen Mitglieder der Familie zum Andenken an die Freundschaft von La Mole und Coconasso, der sich, als echter Italiener, Hannibal nannte, die Vornamen Bonifaz und Hannibal. Es bleibe nicht unerwähnt ...«, setzte der Akademiker hinzu, indem er seine Stimme dämpfte, »der Coconasso war, nach Karls IX. eigenem Ausspruch, einer der grausamsten Mordgesellen der Bartholomäusnacht, am 24. August 1572 ... 36 Aber wie ist es möglich, mein lieber Sorel, daß Sie, ein Mitglied dieses Hauses, von alledem nichts wissen?«
»Also deshalb hat Fräulein von La Mole ihren Bruder heute bei Tisch zweimal Hannibal genannt. Ich glaubte mich verhört zu haben.«
»Das sollte ein Vorwurf sein. Wie gesagt, es ist merkwürdig, daß die Marquise derartige Narrheiten duldet...«
Es folgten ein paar satirische Bemerkungen. Die gehässige Freude, die in den Augen des Akademikers gleißte, berührte Julian unangenehm. »Wir benehmen uns wie zwei Dienstboten, die über ihre Herrschaft klatschen«, dachte er. »Aber an so einem Akademiker darf mich nichts verwundern.« Julian hatte ihn nämlich eines Tages auf den Knien vor der Marquise überrascht, wie er sie bat, einem seiner Neffen in der Provinz einen Tabakverschleiß zu erwirken.
Am Abend machte es eine kleine Kammerjungfer des Fräuleins von La Mole, die Julian nachstellte wie ehemals Elise, ihm klar, daß die Trauer ihrer Herrin durchaus nicht den Zweck habe, die Blicke auf sich zu ziehen. Dies seltsame Gebaren wurzelte in ihrem Charakter. Sie hegte wirkliche Liebe für den heißgeliebten Favoriten der geistreichsten Königin ihres Jahrhunderts, für Bonifaz von La Mole, der den Tod erlitten, weil er seine fürstlichen Freunde befreien wollte.
An vollkommene Natürlichkeit gewöhnt, wie sie ihm aus Frau von Rênals ganzem Wesen entgegengetreten war, glaubte Julian an allen Pariser Damen immer nur Affektiertheit zu erblicken. Wenn er nur im geringsten trüb gestimmt war, wußte er ihnen nichts zu sagen. Fräulein von La Mole machte eine Ausnahme. Julian fing an, die besondere Art von Schönheit, die sich aus vornehmem Wesen ergibt, nicht mehr für Herzlosigkeit zu halten, und führte längere Gespräche mit ihr, wenn sie nach Tisch im Garten vor den offenen Salonfenstern zusammen auf und ab gingen, wie dies bisweilen geschah.
Eines Tages gestand sie ihm, daß sie sich mit der Lektüre des Leben galanter Damen vom Seigneur de Brantôme beschäftigte und mit Agrippa d'Aubigne. »Sonderbare Lektüre!« dachte Julian. »Zumal, da ihr die Marquise nicht einmal gestattet, die Romane von Walter Scott zu lesen!«
Ein andermal erzählte sie ihm mit freudestrahlenden Augen, die von der Aufrichtigkeit ihrer Bewunderung zeugten, von einer jungen Dame unter der Regierung Heinrichs III., die ihren Gatten erdolchte, nachdem sie ihn der ehelichen Untreue überführt hatte. Das hatte sie eben in den Denkwürdigkeiten von L'Etoile gelesen.
Julian fühlte sich in seiner Eigenliebe geschmeichelt. Ein so viel umworbenes Wesen,
Weitere Kostenlose Bücher