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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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verteilen, zu denen ich ehedem selber gehörte. Gewiß helfen Sie andern noch immer so gern wie einst mir.«
    Julian war trunken vor Ehrgeiz, nicht vor Eitelkeit. Allerdings verwendete er auf sein Äußeres große Sorgfalt. Seine Pferde, seine Uniformen, die Livree seiner Diener, alles das war derart tadellos, daß sich damit kein englischer Lord hätte zu schämen brauchen.
    Kaum war er Offizier – freilich nur durch Protektion –, als er sich bereits ausrechnete, daß er mit seinen dreiundzwanzig Jahren eigentlich mehr sein müßte als bloß Oberleutnant, wenn er wie alle großen Heerführer mit dreißig Jahren General sein wollte. Er dachte an nichts andres als an eine glänzende Karriere und an seinen Sohn.
    Aus diesem Überschwange zügellosen Ehrgeizes wurde er eines Morgens durch einen jungen Diener des Hauses von La Mole herausgerissen. Er brachte einen Brief von Mathilde:
    »Alles verloren! Komme so rasch als möglich her. Laß alles im Stich. Desertiere, wenn es sein muß. Sobald Du da bist, erwarte mich in einer Droschke an der kleinen Gartentür. Vielleicht kann ich Dich mit in den Garten nehmen. Wir haben viel zu besprechen. Es ist alles verloren, ich fürchte, unwiderruflich. Aber verlaß Dich auf mich! Ich bleibe Dir treu auch im Unglück.
In Liebe
Deine Mathilde.«
    Wenige Minuten später hatte Julian Urlaub von seinem Oberst. In wilder Hast ritt er von Straßburg ab. Aber die qualvolle Unruhe, die in ihm wühlte, machte ihm die Reise zu Pferd bereits hinter Metz unerträglich. Er warf sich in eine Extrapost und erreichte in schier unglaublicher Eile den bezeichneten Ort, die kleine Pforte hinten im Garten des Hauses La Mole. Die Tür öffnete sich, und im selben Augenblick lag Mathilde bereits in seinen Armen. Sie nahm auf nichts Rücksicht. Zum Glück war es fünf Uhr früh und die Straße noch menschenleer.
    »Es ist alles verloren!« rief sie. »Mein Vater ist aus Furcht vor meinen Tränen in der Nacht auf Donnerstag verreist. Niemand weiß, wohin. Er hat mir diesen Brief hinterlassen. Lies ihn selber!«
    Sie stieg zu ihm in die Droschke.
    Der Brief des Marquis lautete:
    »Alles könnte ich verzeihen, nur nicht, daß Du planmäßig verführt worden, weil Du reich bist. Mein unglückliches Kind, das ist die schändliche Wahrheit! Ich gebe Dir mein Ehrenwort, daß ich Dir niemals erlaube, diesen Menschen zu heiraten. Ich setze ihm ein Jahresgeld von zehntausend Franken aus, wenn er sich bereit erklärt, weit fort, außerhalb von Frankreichs Grenzen, am besten in Amerika, Aufenthalt zu nehmen. Lies beiliegenden Brief! Ich habe ihn als Antwort auf eine Erkundigung erhalten. Der Schamlose hat mich selbst veranlaßt, an Frau von Rênal zu schreiben. Ich werde auch nicht eine Zeile Deiner Hand lesen, die auf diesen Menschen Bezug hat. Ich hasse Paris und will Dich nicht sehen. Ich rechne fest darauf, daß Du das Unvermeidliche sorgfältig geheimhältst. Entsage dem Schurken freiwillig, und ich bin wieder
Dein Vater.«
    »Wo ist der Brief von Frau von Rênal?« fragte Julian kalt.
    »Hier! Ich wollte ihn dir erst zeigen, wenn du darauf vorbereitet wärest.«
    Frau von Rênal schrieb:
    »Sehr geehrter Herr Marquis!
    Religion und Moral verpflichten mich zu dem peinlichen Schritt, den ich hiermit Ihnen gegenüber tue. Ich kann nicht anders; ich muß einen Mitmenschen schädigen, um dadurch ein noch größeres Ärgernis zu vereiteln. Mein Schmerz hierüber weicht meinem Pflichtgefühl.
    Es ist allzu wahr: die Person, über die Sie genaue Auskunft haben wollen, hat es verstanden, ihr Betragen anständig, zum mindesten nicht klar beurteilbar erscheinen zu lassen. Aus Rücksicht auf die Schicklichkeit hat man die Wahrheit verdeckt und versteckt. Das war ein Gebot der Klugheit. In Wirklichkeit jedoch war die sittliche Führung dieses Menschen im höchsten Grade verdammenswert. Mehr kann ich nicht sagen. Arm und habgierig, dabei der ärgste Heuchler, hat er eine schwache unglückliche Frau verführt, um vorwärtszukommen und etwas zu werden. Meine Pflicht zwingt mich zu meinem Bedauern hinzuzufügen, daß ich Herrn J. S. für einen Menschen ohne religiöse Grundsätze halte. Aus Gewissenhaftigkeit muß ich bekennen, daß ich glaube, eins seiner Mittel, um in einer Familie festen Fuß zu fassen, liegt darin, die angesehenste Dame des Hauses zu verführen. Hinter der Maske der Uneigennützigkeit und mit Romanphrasen im Munde hat er kein andres Ziel, als den Herrn des Hauses und dessen Vermögen in seine Macht zu

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