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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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sein...« Sich schnell verbessernd, setzte er in herrischem Tone hinzu, der durch die Gabe eines Goldstückes sanktioniert wurde: »Sie sollen auch gut belohnt werden!«
    Noiroud berichtete abermals bis in alle Einzelheiten, was er über Frau von Rênals Zustand gehört hatte, nur verheimlichte er, daß Jungfer Elise bei ihm gewesen war.
    Eine ordinärere Knechtsnatur gab es nicht so leicht. Einen Moment hatte Julian den Gedanken: Der Prolet hat keine drei- bis vierhundert Franken Jahreseinkommen. Und viel benutzt ist das Gefängnis nicht ... Wenn ich ihm zehntausend Franken zusichere, brennt er mit mir nach der Schweiz durch ... Das einzig Schwierige dabei wäre, ihn zu überzeugen, daß ich mein Versprechen auch halte...«
    Aber die Vorstellung, mit dem Kerl lange reden zu müssen, war ihm widerlich. Er dachte an etwas andres.
    Am Abend war es bereits zu spät. Um Mitternacht wurde er durch einen Postwagen abgeholt. Die Gendarmen, die ihn geleiteten, benahmen sich zu Julians voller Zufriedenheit.
    Als er frühmorgens im Stadtgefängnis von Besançon ankam, wurde er zu seiner Freude im obersten Stock eines gotischen Turmes untergebracht. Julian schätzte die Bauweise des vierzehnten Jahrhunderts und bewunderte ihre Anmut und Leichtigkeit. Durch eine Scharte hatte er über einen tiefen Hof hinweg die wunderbarste Fernsicht.
    Am nächsten Vormittag fand ein Verhör statt. Alsdann ließ man ihn ein paar Tage unbehelligt. Sein Gemütszustand war ruhig. Die Lage dünkte ihn ureinfach: »Ich habe töten wollen: also werde ich getötet!«
    Weiter gingen seine Gedanken nicht. Die Hauptverhandlung, das Erscheinen vor der Öffentlichkeit, die Verteidigung, das Urteil, alles das erachtete er für belanglose Belästigungen und ärgerliche Formalitäten, an die vorher zu denken keinen Sinn hatte. Ebensowenig beschäftigte ihn der Augenblick der Hinrichtung. »Das hat Zeit bis nach meiner Verurteilung!« sagte er sich. Das Leben kam ihm durchaus nicht langweilig vor. Er sah alles wie mit neuen Augen an. Sein Ehrgeiz war dahin. Selten nur dachte er an Mathilde. Seine Reue nahm ihn ganz in Anspruch. Sie führte ihm häufig die Gestalt der Frau von Rênal vor das Auge, besonders in der Stille der Nächte, die in dem hochgelegenen Turmzimmer nur durch den Schrei eines Adlers unterbrochen wurde.
    Er dankte dem Himmel dafür, daß er sie nicht zu Tode getroffen hatte. »Eins ist wunderbar«, dachte er bei sich. »Erst glaubte ich, mein künftiges Glück sei durch den Brief an den Marquis auf immerdar zerstört. Und jetzt, nach kaum vierzehn Tagen, denke ich schon nicht mehr an das, was mir damals nicht aus dem Sinn kam! Wenn ich noch einen Wunsch haben dürfte, so wäre es der: mit zwei-, dreitausend Franken im Jahre still in einem Gebirgsdorfe wie Vergy zu leben. Damals war ich glücklich! Ach, ich kannte mein Glück nicht!«
    In andern Augenblicken sprang er plötzlich vom Stuhl auf. »Wenn ich Frau von Rênal tödlich getroffen hätte, so hätte ich Selbstmord begangen. Ich muß diese Überzeugung ganz fest halten. Sonst müßte ich mich selber verachten.«
    »Selbstmord! Wäre er nicht auch so angebracht? Das will wohl überlegt sein. Was hat es für Zweck, erst vor die Richter zu treten, diese Paragraphenknecht, die auch den besten Bürger an den Galgen bringen, wenn sie einen Orden dafür bekommen! Ich kann mich ihrer Macht entziehen, den Schikanen ihrer miserablen Juristensprache, die man in den Amtsblättern forensische Beredsamkeit nennt...«
    »Fünf bis sechs Wochen länger leben oder nicht?« sagte er sich ein paar Tage später. »Beim Teufel, ich bleibe leben! Napoleon hat auch weitergelebt. Übrigens ist mein Dasein angenehm. Ich habe einen friedsamen Wohnort. Langeweile habe ich auch nicht.«
    Er lachte und schrieb ein paar Bücher auf, die ihm in Paris besorgt werden sollten.

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Siebenunddreißigstes Kapitel
Im Turm
Das Grab eines Freundes.
    Sterne
    D raußen auf dem Gange machte sich großer Lärm vernehmbar. Es war nicht die Stunde, in der man sonst in seine Zelle hinaufkam. Der Adler flatterte schreiend davon. Die Tür ging auf, und der ehrwürdige greise Pfarrer Chélan warf sich zitternd, den Stock noch in der Hand, in Julians Arme.
    »O mein Gott! Wie ist es möglich! Mein Sohn ... Unmensch wollte ich sagen ...«
    Der gute alte Mann vermochte kein Wort weiter zu reden. Julian fürchtete, er könne umfallen. Er mußte ihn nach einem Stuhle geleiten. Das Alter lastete schwer auf dem einst so willensstarken

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