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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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geworden.
    Fouqué war hocherfreut, daß sein Freund endlich auf den Hauptpunkt seiner Gedanken einging. Auf Heller und Pfennig rechnete er ihm vor, wieviel er aus seinen verschiedenen Liegenschaften herausschlagen könne.
    »Edelmütiger kann ein Mann seines Schlages nicht sein!« dachte Julian bei sich. »Er will mir alles opfern, was er, bis zur Knickrigkeit sparsam, bis zur Schäbigkeit schachernd, zusammengescharrt hat. Ich habe mich oft für ihn geschämt, wenn ich ihm so zusah. Die feinen Kulturmenschen im Umkreise des Hauses La Mole haben derartige Lächerlichkeiten nicht an sich; sie haben Chateaubriands René 47 gelesen. Aber wer von ihnen wäre eines solchen Opfers fähig?«
    Fouqués Ungebildetheit und schlechte Manieren vergessend, fiel ihm Julian um den Hals. Voller Entzücken hielt der Biedermann das Feuer, das im Moment in des Freundes Augen leuchtete, für Einwilligung zur Flucht.
    Angesichts solcher Opferfreudigkeit gewann Julian alle die Kraft wieder, die ihm Chélans Erscheinen genommen hatte. Er war noch sehr jung, immerhin doch wohl Edelgewächs. Bei den meisten Menschen schlägt Zärtlichkeit in Verschlagenheit um. Seine Entwicklung hätte einen andern Gang genommen; je älter er geworden wäre, um so mehr hätte sein Herz gesprochen, und sein tolles Mißtrauen hätte sich gelegt...
    Er wurde immer häufiger verhört, obwohl er sich Mühe gab, das Verfahren durch klare Antwort auf jegliche Frage abzukürzen. Jedesmal wiederholte er: »Ich habe einen Mord begangen, zum mindesten mit Vorsatz begehen wollen.« Aber der Untersuchungsrichter war ein Buchstabenmensch. Für ihn gab es keine Abkürzungen. Im Gegenteil, er fühlte sich in seiner Juristeneitelkeit gekränkt und wurde nun erst recht umständlich.
    Julian erfuhr nicht, daß man ihn in ein abscheuliches Verlies hatte bringen wollen und daß es nur Fouqués Bemühungen zu danken war, wenn man ihn in seinem freundlichen Turmgemach ließ.
    Zu den einflußreichen Leuten, die ihr Holz von Fouqué bezogen, gehörte auch der Großvikar von Frilair. Es gelang dem braven Holzhändler, sich bei diesem allmächtigen Manne Gehör zu verschaffen. Sein Jubel war grenzenlos, als ihm Frilair erklärte, da er Julians frühere Leistungen im Seminar und seine guten Eigenschaften hochschätze, werde er ihn dem Wohlwollen der Richter bestens empfehlen. Fouqué faßte Hoffnung, seinen Freund zu retten. Als er vom Großvikar ging, bat er ihn unter einem tiefen Kratzfuß, für hundert Taler Messen lesen zu lassen, um vom Himmel den Freispruch des Angeklagten zu erflehen.
    Fouqué irrte sich stark. Frilair war kein Valenod. Er lehnte ab und versuchte dem Biedermanne aus den Bergen sogar beizubringen, daß er sein Geld besser verwenden könne. Als er aber die Unmöglichkeit einsah, sich verständlich zu machen, ohne sich bloßzustellen, gab er den Rat, das Geld den armen Gefangenen zu stiften, denen es in der Tat am Nötigsten fehlte.
    »Dieser Julian ist ein sonderbarer Kauz«, dachte Frilair bei sich. »Seine Tat ist mir unerklärlich. Und doch sollte es für mich nichts Unerklärliches geben ... Könnte ich nicht aus ihm einen Märtyrer machen? Auf jeden Fall muß ich hinter das Geheimnis der ganzen Geschichte kommen. Vielleicht läßt sich die Sache benutzen, um mich mit Herrn von La Mole in vorteilhafter Weise auszusöhnen. Er hat ein Faible für das Bürschchen.«
    Der Vergleich in seinem Prozesse mit dem Marquis war vor wenigen Wochen unterzeichnet worden, und der Abbé Pirard hatte Besançon nicht verlassen, ohne eine Bemerkung über Julians geheimnisvolle Herkunft fallen zu lassen. Zufällig war das an dem Tage gewesen, an dem der Unglückliche sein Attentat auf Frau von Rênal in der Kirche von Verrières verübte.
    Zwischen sich und dem Tode sah Julian nur noch ein unangenehmes Ereignis: den Besuch seines Vaters. Er fragte Fouqué, wie er über ein Gesuch an den Gerichtspräsidenten dächte. Er wolle bitten, von jedwedem Besuche verschont zu bleiben. Solcher Widerwille vor dem Angesicht eines Vaters, zumal unter Umständen wie hier, wirkte auf das brave Spießbürgergemüt des ehrsamen Holzhändlers wie ein kalter Wasserstrahl. Er bildete sich ein zu begreifen, warum sein Freund von so vielen Leuten glühend gehaßt wurde. Aber aus Rücksicht auf sein Unglück verhehlte er ihm seine Empfindungen. Kühl gab er ihm zur Antwort: »Die Genehmigung eines derartigen Gesuches würde sich nicht auf deinen Vater erstrecken.«

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Achtunddreißigstes

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