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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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richtet sich mir zuliebe zugrunde. Und so vergelte ich ihr das! Ich bin doch ein schlechter Mensch.«
    Solange er ehrsüchtig war, hatte es ihn wenig gekümmert, ob er ein schlechter Mensch sei. Ehedem hatte er keine andere Schande vor Augen als die der Erfolglosigkeit. Sein seelisches Unbehagen in Mathildens Gegenwart bekam um so mehr Gewicht, als er jetzt die seltsamste und tollste Leidenschaft in ihr erregte. Sie redete von nichts als von den wunderlichsten Opfern, die sie zu seiner Rettung bringen wollte. Im Überschwange ihrer Liebe, auf die sie stolz war und vor der sich all ihr Hochmut demütigte, hätte sie am liebsten in jedem Augenblicke ihres Lebens irgendeine heroische Tat für Julian begangen. In stundenlangen Unterhaltungen mit ihm spann sie die abenteuerlichsten und gefahrvollsten Pläne aus. Die mit hohen Summen bestochenen Gefängniswärter ließen sie im Turme schalten und walten. Daß sie ihren guten Ruf dabei preisgab, war ihr das wenigste. Es war ihr gänzlich gleichgültig, ob alle Welt ihre Liebesgeschichte erführe.
    Julian fühlte sich solcher Opferfreudigkeit wenig würdig. Er war heldenmütiger Dinge müde. Für etwas wäre er empfänglich gewesen: für schlichte, naive, scheue Zärtlichkeit. Im Gegensatz dazu bedurfte Mathildens hochfliegende Seele immer der Vorstellung, als handle sie vor den andern, vor der ganzen Welt. Bei all ihrer Angst und Sorge um das Leben ihres Geliebten, den sie entschlossen war nicht zu überleben, hatte sie den geheimen Drang, die Öffentlichkeit durch das Übermaß ihrer Liebe und die Großartigkeit ihrer Taten zu verblüffen.
    Julian war über sich selbst verstimmt, dieweil ihn alles das so gar nicht rührte. Dabei wußte er nicht einmal, mit was für tollkühnen Plänen Mathilde seinen treuen, aber maßlos beschränkten und nüchternen Freund Fouqué bestürmte. Nicht daß dieser ihre grenzenlose Hingabe tadelnswert gefunden hätte (er war ja selber bereit, sein Hab und Gut und sein Leben für Julian in die Schanze zu schlagen): was ihn verwunderte, war Mathildens Geldverschwendung. Als echter Spießbürger hegte er riesige Hochachtung vor dem Gelde. Nach und nach gewahrte er auch, daß Mathildens Pläne in einem fort wechselten. Es war ihm geradezu eine Erleichterung, einen Fehler an ihrem ihm unbequemen Charakter zu finden. Er hielt Mathilde für wetterwendisch , was im Hinterlande beinahe dasselbe ist wie Phantast sein , das allerschlimmste.
    »Merkwürdig!« sagte sich Julian eines Tages, als Mathilde eben seine Zelle verlassen hatte. »Eine so lebhafte Leidenschaft, die mir gilt, läßt mich völlig kalt! Und noch vor acht Wochen betete ich Mathilde an. Ich habe irgendwo gelesen, die Nähe des Todes mache den Menschen teilnahmslos. Ach, es ist schrecklich, sich undankbar zu fühlen und sich doch nicht ändern zu können! Bin ich denn ein Egoist?« Er machte sich hierüber die demütigendsten Vorwürfe.
    In seinem Herzen war der Ehrgeiz tot. Eine andere Leidenschaft war aus der Asche erstanden. Julian nannte sie die Reue, Frau von Rênal ermordet zu haben. In Wahrheit war er toll in sie verliebt. Wenn er allein war und nicht fürchtete, gestört zu werden, fand er ein köstliches Glück darin, sich in den Erinnerungen an die herrlichen Tage von Verrières und Vergy zu. verlieren. Die geringfügigsten Erlebnisse jener allzu rasch vergangenen Zeit standen wunderbar frisch und wonnesam vor ihm. An seine Pariser Errungenschaften dachte er nicht zurück. Er war ihrer überdrüssig.
    Diese Stimmung, die von Tag zu Tag stärker wurde, blieb der eifersüchtigen Mathilde nicht ganz verborgen. Sie merkte deutlich, daß Julians Hang zu einsamer Träumerei etwas ihr Feindseliges war. Gelegentlich erwähnte sie Frau von Rênals Namen. Dann sah sie, wie der Geliebte erschrak. Fortan kannte ihre Leidenschaft kein Maß, keine Grenze mehr.
    »Wenn er stirbt, folge ich ihm in den Tod«, gelobte sie sich. »Was wird man in den Pariser Salons wohl sagen, wenn man erfährt, daß eine junge Dame meines Ranges einen zum Tode Verurteilten so namenlos liebt und vergöttert? Um solche Gefühle zu finden, muß man in die Ritterzeit zurückgehen. Solche Leidenschaft ließ die Herzen im Jahrhundert Karls IX. und Heinrichs III. höher schlagen.«
    In ihrer Ekstase, wenn sie Julians Kopf an ihren Busen drückte, sagte sie sich, zusammenschauernd: »Ach, dieses holde Haupt muß fallen!« Und von Heldengefühl und bizarrer Glückseligkeit ergriffen, fuhr sie fort: »Sei es!

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