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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Vierundzwanzig Stunden später sind auch meine Lippen, die dies schöne Haar küssen, kalt und starr.«
    Der Nachhall solch grausiger Wollust wich nicht von ihr. Der verführerische Gedanke an den Selbstmord, der ihrer Natur bisher gänzlich fern gewesen war, umgarnte ihre hochmütige Seele schließlich vollständig. Stolz sagte sie sich: »Das Blut meiner Vorfahren ist nicht schal bis zu mir gekommen!«
    Einmal sagte der Geliebte zu ihr: »Ich habe eine Bitte an dich. Gib unser Kind nach Verrières in Pflege! Frau von Rênal wird die Amme überwachen.«
    »Du verlangst Grausames von mir!« erwiderte Mathilde erbleichend.
    »Du hast recht!« rief Julian, aus seinem Traumleben erwachend und sie in seine Arme schließend. »Ich bitte dich tausendmal um Verzeihung.«
    Als er ihr die Tränen getrocknet hatte, kam er auf seine Idee zurück, wenn auch mit mehr Geschicklichkeit. Er hängte der Unterhaltung das Gewand philosophischer Schwermut um. Er sprach von der Zukunft, die für ihn so nahe Grenzen hatte.
    »Liebste, Beste, es ist so: die Leidenschaft ist das größte Leid des Lebens. Aber es sucht nur die höheren Seelen heim. Der Tod unsres Kindes wäre für deine stolze Familie ein Glück. Und das werden treue Diener erraten. Vernachlässigung wird das Los dieses unglücklichen Kindes der Schande sein ... Ich hoffe, du wirst zu einer Zeit, die ich nicht näher bezeichnen will, der ich aber mutig entgegensehe, meinem Letzten Willen gehorchen und den Marquis von Croisenois heiraten.«
    »Ich, eine Entehrte?«
    »Ein Name vom Klange des deinen kann nicht entehrt werden. Du bist eine Witwe. Die Witwe eines Narren. Was ist das weiter? Und dann – meine Untat hatte ihren Beweggrund nicht im Gelde. Folglich war sie nicht ehrlos. Und die Todesstrafe? Die Zeit wird kommen, wo ein philosophischer Gesetzgeber die ererbte Anschauung seiner Zeitgenossen überwindet und die Todesstrafe abschafft. Dann ist auch das nicht mehr ehrlos. Dann gehöre ich zu den Märtyrern. Alles wandelt sich. Und auch das himmlische Feuer, das dich in dieser Stunde durchflammt, wird verglühen. In fünfzehn Jahren erscheint dir die Liebe, die du für mich gefühlt hast, als entschuldbare Torheit, aber immerhin als Torheit...«
    Er hielt plötzlich inne und fiel in seine Versonnenheit zurück. Von neuem kam ihm der Mathilden so feindselige Gedanke: »In fünfzehn Jahren wird Frau von Rênal meinen Sohn vergöttern, und du hast ihn vergessen!«

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Vierzigstes Kapitel
Seelenfrieden
Weil ich damals verrückt war, bin ich jetzt so weise. O du Philosoph, der du nichts siehst, als was der Augenblick bringt, wie kurzsichtig bist du doch! Dein Auge ist nicht dazu geschaffen, dem unterirdischen Walten der Leidenschaften zu folgen.
    Frau Goethe 48
    D ie Unterhaltung ward unterbrochen. Julian wurde verhört. Darnach fand eine Besprechung mit seinem Verteidiger statt. Dies waren die einzigen wirklich unangenehmen Augenblicke in seinem Dasein voller Sorglosigkeit und holder Träumerei.
    Sowohl dem Untersuchungsrichter wie seinem Anwalt erklärte er: »Es war Mord, vorsätzlicher, mit Überlegung ausgeführter Mord!« Und lächelnd setzte er hinzu: »Es tut mir leid, meine Herren, wenn dieses Geständnis Ihre Arbeit beträchtlich vermindert.«
    Als er sich von den beiden Kreaturen wieder befreit sah, sagte er zu sich: »Mich dünkt, ich bin doch tapfer, zweifellos tapferer als diese beiden Leutchen. Sie halten mein Duell mit dem Schicksal, bei dem ich auf dem Platze verbleiben werde, das ich aber erst am betreffenden Tage ernst nehme, für ein Kapitalunglück.« Er philosophierte weiter: »Ich habe größeres Leid erfahren. Als ich das erstemal nach Straßburg reiste und mich von Mathilde verlassen wähnte, da habe ich tausendmal mehr gelitten ...« Er verlor sich in Grübeleien. »Damals sehnte ich mich toll darnach, Mathilde ganz mein eigen zu nennen. Und heute läßt sie mich unsagbar kalt. Wahrlich, ich bin viel glücklicher, wenn ich allein bin, als wenn dies schöne Weib meine Einsamkeit teilt!«
    Der Anwalt, ein Pedant und Formelmensch, hielt Julian für verrückt. Er nahm an – und dies war die allgemeine Meinung –, daß ihm die Eifersucht die Pistole in die Hand gedrückt habe. Eines Tages erlaubte er sich anzudeuten, daß diese Motivierung der Tat, gleichviel ob falsch oder wahr, ein ausgezeichnetes Verteidigungsmittel sei. Aber der Angeklagte regte sich ob dieser Zumutung ungeheuer auf.
    Ganz außer sich rief er aus: »Herr Anwalt, wenn Ihnen

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