Rot Weiß Tot
Geschäft.«
»Was wollen Sie noch wissen?«
»Worum es eigentlich geht.«
»Vergessen Sie es.«
»Sagen Sie mir wenigstens noch etwas mehr über den Menschen Ronald Markovics.«
»Markovics verfügte über eine Einrichtung zur Verewigung seiner Geistesblitze, um die er zu beneiden war«, sagte Bergmann zögernd. »Sie kennen das sicher auch: Die besten Einfälle hat man nie, wenn man mit einem gespitzten Bleistift und einem Zettel am Schreibtisch sitzt. Sie kommen an der Kasse des Supermarktes oder während man gerade zu einem Termin aufbricht. Später sind sie weg wie der Schnee vom vorigen Jahr.«
Albin nickte, obwohl sein eigenes Gedächtnis gut funktionierte.
»Markovics deponierte seine Ideen über sein Handy auf einem 30-Minuten-Tonband. Eine freie Mitarbeiterin der Werbeagentur tippte sie ab und faxte sie an sein Büro.«
»Praktisch. Hat das etwas mit dem Mord zu tun?«
»Raten Sie.«
»Es hat also etwas damit zu tun.«
»Mehr sage ich wirklich nicht.«
»Gibt es Tonbandaufzeichnungen aus der Mordnacht?«
»In gewisser Weise ja, andererseits nein.«
»Sie sprechen in Rätseln«, sagte Albin gequält.
Bergmann schenkte ihm einen ironischen Blick. Trotzdem redete er weiter. »Wir haben Bänder gefunden, auf denen der Mord mit allen Details aufgezeichnet ist. Zu Beginn, noch im Wagen, sagt Markovics, dass er sich bedroht fühlt und deshalb das Band mitlaufen lässt. Er fährt hörbar ein kleines Stück weiter, steigt aus, geht über eine Wiese, wird niedergeschlagen, auf ein Autodach gezerrt, bekommt ein Seil um den Hals und wird mit einer Kurbel hochgezurrt. Ist das nicht verrückt?«
Albin überlegte bereits, wie er an das Band kommen könnte.
»Wir haben das Tonband überprüft«, sagte Bergmann. »Dank der Hintergrundgeräusche können wir sagen, dass es eindeutig am Tatort aufgenommen wurde. Wir halten es für echt.«
»Und weiter?« »Der Punkt ist …«
Der Kellner kam vorbei und unterbrach ihn mit einer Frage nach weiteren Wünschen. Der Chefinspektor winkte ab.
»Der Punkt ist, dass diese Bänder schon so lange in unserem Archiv liegen, dass ihre Hüllen längst verstaubt sind«, fuhr Bergmann fort. »Wir haben sie Ende September vor fast genau zwei Jahren gefunden.«
Albin schwieg, um nachzudenken.
»Sie haben richtig gehört«, sagte Bergmann.
»Das ist unmöglich«, sagte Albin, der sich an den noch warmen Körper des Toten erinnerte. »Das hieße, dass Markovics schon zwei Jahre lang tot ist.«
Der Polizist nickte.
»Was bedeutet das?«
Bergmann zuckte die Schultern. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich weiß nach der Obduktion nur, dass der Mann die letzten beiden Jahre nicht in einer Tiefkühltruhe verbracht hat.«
Kapitel 5
Albin dachte an seinen Traum von der Zeit. Zwischen Daumen und Zeigefinger einer Frau, die so groß, so weiß und so leicht war wie eine Wolke, war eine Möwe gesegelt. Mit unaufhörlichem Flügelschlag, und ohne sich von der Stelle zu bewegen.
Sein Blick verfing sich in den Gemäuern, Türmchen und Ziselierungen des mächtigen Domes hinter den metallenen Fenstern des Cafés. Die runde Uhr über dem steinernen Penis zeigte fast fünf.
»Wissen Sie, weshalb die Löwen in den Nischen wie Schweine aussehen?«, fragte Bergmann, der Albins Blick gefolgt war.
Albin schüttelte abwesend den Kopf.
»Weil die Steinmetze noch nie in ihrem Leben einen Löwen gesehen hatten. Sie arbeiteten nach bloßen Beschreibungen der Seemänner.«
»Ihre Geschichte hört sich reichlich mysteriös an. Übersinnlich.«
»Übernatürliche Ereignisse würden nicht in meinen Zuständigkeitsbereich fallen. Deshalb betrachte ich die Sache gar nicht erst aus dieser Perspektive.«
»Man könnte das auch Verdrängen nennen.«
Bergmann warf bei einer ausladenden Bewegung eine kleine Vase mit zwei knapp unter dem Kopf abgeknipsten Nelken um. Das Wasser breitete sich auf dem Tischtuch aus. Rasch schob der Chefinspektor das silberne Tablett seines Teegeschirrs über den Fleck. »Mit übersinnlichen Phänomenen wird immer dann kalkuliert, wenn rationale Überlegungen gescheitert sind. Dieses Scheitern ist allerdings fast immer eine Folge mangelnder Intelligenz oder fehlender Kombinationsfähigkeit.«
»Wenn ich Ihnen jetzt einen zwei Jahre alten Mitschnitt unseres gerade laufenden Gespräches vorspiele, was sagen Sie dann?«
»Ich gebe zu, dass die Sache mysteriös aussieht. Früher oder später wird es trotzdem eine simple Erklärung geben.«
»Was haben Sie
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