Rot Weiß Tot
Proteingetränken gedient hatte. Er mochte seine Unterkunft. Er liebte das Nomadenleben, die Ungewissheit der Zukunft, das Ablaufdatum seiner Bleibe und das Bewusstsein, nicht mehr zu besitzen, als auf einmal in seinen Citroën passte.
In den Heimen hatte es nie Bücherregale mit Harry-Potter-Bänden und Garfield-Comics, Schränke mit Skateboards und Eishockey-Ausrüstungen oder Läden mit Computerspielen gegeben. Er hatte schon beim Erwachsenwerden in öffentlichen Einrichtungen die Besitzlosigkeit als Prinzip kultiviert. Dazu gehörte es auch, einen Ort zu verlassen, ehe er ihm vertraut wurde. Eine Kleinwohnung mit Einbauküche und Fernsehcouch kam für ihn nicht in Frage.
Albin ließ das beste Foto von Arko auf der Theke liegen. Sarah sollte es selbst entdecken. Das graubraune Hundegesicht mit der schwarzen Schnauze war darauf gut getroffen. Es sah aus, als würde das Bild gleich von Arkos Hecheln anlaufen. Vor kurzem war das Leben noch so einfach gewesen, dachte er. Würde es jemals wieder so werden?
Sarah kam wenige Minuten später. Sie stürzte mit einem Tempo herein, als wären Mariahilfer Kaufhorden hinter ihr her, die nach Geschäftsschluss aus Langweile auf Menschenjagd gegangen waren. An der Art, wie sie ihre Tasche in die Ecke schleuderte, erkannte Albin, dass sie diesmal nicht bei ihm übernachten würde. Sie tat es wie eine Durchreisende, die selbst bei einer Rast in Bewegung bleiben wollte, um nicht träge zu werden.
»Das war vielleicht ein Tag«, schnaubte sie und erzählte Albin gleichzeitig von einem Professor, der sie aus einem Seminar geworfen hatte, einem vier Zentimeter dicken Skriptum über Neurochemie, das sie binnen acht Wochen lernen musste, und einer Fahrscheinkontrolle in der Straßenbahn, bei der sie ihre Netzkarte nicht hatte vorweisen können.
»Möchtest du etwas trinken?«, fragte Albin.
»Ich kann nicht lange bleiben. Was war mit dem Polizisten?«
Albin wartete darauf, dass sie das Foto fand. »Der Tote hieß Ronald Markovics. Er wurde niedergeschlagen und mit der Schlinge um den Hals auf einen Wagen gestellt. Früher einmal haben sie Pferde für solche Hinrichtungen benutzt.«
»Grausig.«
»Das Grausigste ist ein zwei Jahre altes Tonband mit allen Details des Mordes.«
»Zwei Jahre?« Sarah war genauso überrascht wie vor kurzem Albin selbst.
Er gab ihr eine kurze Zusammenfassung von Bergmanns Bericht.
»Wo war Markovics in den letzten beiden Jahren?«, fragte sie.
»Das dürfte die entscheidende Frage sein.«
»Das ist Wahnsinn. Warum sind die Zeitungen nicht voll davon?«
»Vielleicht werden sie es bald sein.«
»Wie war dieser Markovics?«
»Anscheinend ein exzentrischer Kreativer, ein Macho und Frauenheld. Die Rufdatenauswertung hat ergeben, dass er regelmäßig mit einer Hanna Goldmann und mit einem Frank Gregoritsch Kontakt hatte. Hanna Goldmann ist eine selbstständige Werbegrafikerin mit einem Atelier in Hernals, Gregoritsch ist Verlagslektor. Außerdem hat Bergmanns Gewaltgruppe Kontakt mit einem Ex-Kollegen von Markovics aufgenommen, Ralf Stern.«
»Gewaltgruppe?“ »So nennt man die mit Mordfällen befassten Abteilungen der Sicherheitsdirektion. Bergmann ist Leiter so einer Gruppe und jetzt auch Leiter einer überregionalen Sonderkommission für diesen Mord. Wiener und Niederösterreicher sind involviert.«
»Was weißt du über diese drei Menschen?«
»Sie dürften schräge Vögel sein.«
»In einem Polizeiprotokoll kann der normalste Mensch wie ein schräger Vogel aussehen«, gab Sarah zu bedenken. »Ich würde mit ihnen reden.«
Hanna Goldmann war nach Bergmanns Beschreibung fünfzig Jahre alt, geschieden und hatte eine zwölfjährige Tochter, die in Werbefilmen auftrat. In ihrem Büro nahe der Endstation des 43ers arbeitete sie mit zwei festen und mehreren freien Mitarbeitern. »Markovics hatte den Text für eine von ihr entworfene Broschüre geschrieben«, sagte Albin zu Sarah. »Der Text gefiel ihr, der Mann auch.«
»Hat sie ihn geliebt?«
»Sie waren eher lose liiert. Er dürfte auch andere Affären gehabt haben.«
»Das erste Mordmotiv.«
»Laut Protokoll gab es keine Hinweise auf Eifersucht. Seine anderen Frauen waren ihr egal.«
»Das glaube ich nicht. Außer der Mann war ihr egal.«
»Ich werde sie anrufen.«
Sarah blätterte schon das Wiener Telefonbuch durch und ließ den Finger auf einem Namen liegen. »Goldmann, Hanna.« Sie schrieb Namen und Nummer auf einen Zettel.
Albin hatte gewusst, dass der Mord am Heidentor real war.
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