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Rot Weiß Tot

Titel: Rot Weiß Tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Salomon
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bisher unternommen?«
    »Vor zwei Jahren wurde von der Werbeagentur ID beim zuständigen Kriminalkommissariat in der Causa Markovics Anzeige erstattet. Die Leute hatten das Tonband zuerst für einen schlechten Scherz gehalten. Als sie ihren Mann nicht erreichen konnten und er nicht auftauchte, wurden sie nervös. Die uniformierten Kollegen wollten zuerst wie bei einem Vermisstenfall vorgehen. Es gab keine Leiche. Andererseits lag das Tonband vor. Also hatten sie eine bedenkliche Abgängigkeit. Sie riefen bei uns an und erreichten den Journaldienst. Meine Gruppe, die Gruppe vier, übernahm den Fall.«
    »Mit welchem Ergebnis?«
    »Wir überprüften den viktimologischen Hintergrund des Vermissten. Kontakte zu kriminellen Gruppen, problematische Beziehungen. Wir nahmen eine Rufdatenauswertung vor, all diese Dinge eben.«
    »Und?«
    Bergmann drehte seine jetzt leere Tasse um und zeigte Albin den Druck am Boden. »Echtes Hutschenreuther«, sagte er. »Ist das nicht unglaublich?«
    Albin beharrte auf seiner Frage. »Mit welchem Ergebnis?«
    »Mit keinem. Die Sache wurde zum Fahndungsakt erklärt, und nicht zum Mordakt.«
    »Dann lagen Sie grundfalsch.«
    »Wir lagen grundrichtig. Markovics lebte damals noch. Wo und wie auch immer.«
    »Und jetzt? Ist es für Ihr Gefühl ein Mordakt?«
    »Was ein Mord ist und was nicht, ist keine Gefühlsfrage. Das steht im Wiener Leichen- und Bestattungsgesetz und in der Strafprozessordnung. Grundsätzlich kann sich ein Mensch nicht selbst erhängen, indem er sich mit einer Schlinge um den Hals auf ein Wagendach stellt und dann den Wagen wegfährt. Einiges deutet daher auf einen Mord hin. Zuständig wäre wie gesagt die Sicherheitsdirektion Niederösterreich. Weil ich mich mit der Causa schon befasst hatte, wurde die überregionale Sonderkommission mit der internen Bezeichnung Wien-Ost unter meiner Leitung eingerichtet. Genauso heißt auch die inzwischen sechshundertvierzig Seiten starke Akte.«
    »Haben Sie einen Verdacht, wo Markovics während der letzten beiden Jahre war?«
    Bergmann rutschte mit seinem gepolsterten Kaffeehausstuhl ein Stück zurück und stemmte die Hände gegen die Tischkante. »Das reicht für heute«, sagte er. »Ich fahre jetzt zurück in die Rossauer Kaserne. Im Grunde hasse ich es, mein Büro verlassen zu müssen. Am liebsten sitze ich hinter meinem Schreibtisch und erledige Papierkram.«
    »Sie machen Witze.«
    Bergmann winkte dem Kellner. »Bloß im Fernsehen sind die Bullen immer auf Achse und ballern mit ihren Dienstwaffen herum. Mich inspirieren die Schreibarbeiten. Dabei dämmern mir Zusammenhänge. Ich kann Ihnen verraten, dass in den letzten fünfzehn Jahren meiner Amtszeit kein einziger Beamter einer Gewaltgruppe je seine Glock abgefeuert hat. Außer beim Training. Wie ist es bei Ihnen?«
    »Wir haben keine Dienstwaffen.«
    »Witzig. Ich meinte, schreiben Sie lieber oder recherchieren Sie lieber?«
    »Schwer zu sagen. Beides.«
    Sie redeten noch eine halbe Stunde über Ronald Markovics’ Lebensstil. Bergmann bestellte neuen Kräutertee, den er diesmal kalt werden ließ. Der Chefinspektor schien Spaß daran zu haben, sich jedes Ermittlungsdetail nur mit beharrlichem Drängen entlocken zu lassen.
    Gegen fünf Uhr ging Albin mit schnellen Schritten in Richtung Kohlmarkt. Die Gastgärten zwischen dem Haas-Haus und der Pestsäule waren trotz der merklich gesunkenen Temperatur noch gut besetzt. Die Gäste zwischen den fliegenden Servietten und den zusammengeklappten Sonnenschirmen drängten sich jetzt aneinander wie eine Herde von Schafen, die sich gegenseitig vor der hereinbrechenden Nacht zu schützen suchten. Auf den Tischen standen Teetassen statt Eiskaffee, und wer über eine warme Jacke verfügte, hatte sie zumindest über die Schultern gelegt.
    Der Tote vom Heidentor hatte für Albin seine Anonymität verloren. Ronald Markovics war laut Bergmanns Beschreibung ein Werbetexter mit einem Hang zu Schick und Lässigkeit, zu Oberflächlichkeiten gewesen.
    Er war in die Jahre gekommen und hatte darunter gelitten. Als Mischung aus Szenemensch und Einzelgänger, der sich bei vielen Partys und Empfängen zeigte und doch die menschliche Nähe mied. Vielleicht war er darüber hinaus eine Art Außerirdischer gewesen oder ein Hexenmeister, der nach Belieben durch Fugen in der Zeit kommen und gehen konnte.
    Am Kohlmarkt mit seinen internationalen Luxusläden nahm Albin sein Mobiltelefon zur Hand. Er wollte so rasch wie möglich den Chronikchef vom Report informieren.

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