Rot Weiß Tot
Vor ihm erhob sich monumental die grüne Kuppel über dem Michaelertrakt der Hofburg. Vor der Konditorei Demel stieß er beim Wählen von Mays Nummer mit einem Reiseleiter zusammen, dessen japanische Gruppe verstohlen kicherte.
Über die lange Wartezeit in der Telefonschleife fluchend erreichte er den Heldenplatz. Im letzten Abendlicht reihte sich ein herantrappelnder Fiaker gegenüber der Nationalbibliothek hinter zwei anderen ein. Albin fragte sich, wie das Geschlecht der Habsburger dereinst ausgerechnet von Wien aus ein Weltreich regieren konnte. Nach einem ehernen Gesetz dieser Stadt rannte jeder, der es eilig hatte, gegen verschlossene Türen.
May hob erst ab, als Albin schon aufgeben wollte. »Hast du schon wieder eine Leiche gefunden?«, fragte er.
»Ich bin auf interessante Details gestoßen.«
Albin wurde klar, dass er noch keinen klaren Überblick über seine Informationen hatte. »Soll ich lieber morgen anrufen?«, fügte er deshalb hinzu.
»Dann habe ich auch nicht mehr Zeit. Was hast du?«
»Der Tote war ein prominenter ID-Mitarbeiter.«
»ID?«
»Du weißt schon. Werbung und PR für Politik, verstaatlichte Konzerne und einige Multis.«
»Ach die.« May wurde immer ungeduldiger. »Wie heißt dein Mann?«
»Ronald Markovics. Er war …«
»Nie gehört«, unterbrach ihn May. »Was hat er gemacht?«
»… Werbetexter«, brachte Albin seinen angefangenen Satz zu Ende. Er merkte, dass er sich schon wieder kleinlaut anhörte.
»Werbetexter? Über die Dornbacher Gruppe schreibt auch niemand eine Seite, wenn du dir einen Schnupfen holst.«
Albin hatte bereits die Ringstraße überquert. »Markovics hatte keinen Schnupfen. Er wurde brutal hingerichtet.«
»Du kannst im Medienteil eine Kurzmeldung schreiben.«
»Die Kripo hat zwei Jahre alte Tonbandaufnahmen von dem Mord.«
»Was genau hast du dann am Montag beim Heidentor gefunden? Eine Mumie?«
»Laut den Gerichtsmedizinern ist der Tod diesen Montag zwischen vier und fünf Uhr morgens eingetreten. Das deckt sich mit meiner Einschätzung.«
»Da werden die Gerichtsmediziner erleichtert sein.«
Albin hatte genug. »Der Fall interessiert dich also nicht.«
»Ich weiß bloß nicht, worum es eigentlich geht.«
»Das weiß niemand. Die Sache ist unheimlich. Auch die Polizei kennt sich nicht aus. Das ist ja gerade die Geschichte.«
»Eine Geschichte ist etwas, was man weiß, und nicht etwas, was man nicht weiß. Das sollte auch ein Anfänger wie du wissen. An deiner Stelle würde ich einen Leserbrief an ein Journal für übersinnliche Phänomene schicken. Dann bekommst du Post von Tischchenrückervereinen und Hellseherinnen.«
»Wie du meinst«, sagte Albin wütend. »Ich melde mich, falls sich etwas Neues ergibt.«
»Wenn du willst …«
Tasten klapperten am anderen Ende der Leitung. May war nicht mehr bei der Sache. »He, Albin«, sagte er nur noch. »Kein Problem, oder?«
»Kein Problem.«
Am Ring rannte Albin fast in eine Straßenbahn. Bremssand sprühte unter den Eisenrädern weg. Der Fahrer schlug wild gestikulierend die Glocke. Die Passagiere im vorderen Teil des Wagens starrten Albin neugierig an. Daran, dachte Albin, war nicht er, sondern der Chronikchef schuld. Beinahe hätte May ihn auf dem Gewissen gehabt.
In einem Supermarkt in der Nähe des Fitnessstudios holte er einen Film vom Entwickeln ab. Die Bilder zeigten Arko, einen struppigen Mischlingsrüden, der in einem privaten Tierheim am Ortsrand von Groß Enzersdorf lebte. Manchmal gingen Sarah und er mit dem Hund in den Donauauen spazieren. An einem Septemberwochenende hatte Albin ihn fotografiert. Er hatte dafür eine billige Kompaktkamera mit automatischem Blitz und zwei Farbfilmen gekauft, von denen einer noch übrig war. Jetzt brachten ihn die Fotos auf angenehmere Gedanken.
Das Gedränge in der Mariahilfer Straße löste sich allmählich auf. Wer zum Ausklang des Einkaufstages nicht in einem der Straßencafés Platz nahm, trabte mit einer Plastiktasche zur U-Bahn oder zu seinem Wagen. Die Schritte der nach Hause Eilenden kamen Albin immer ziellos vor. In ihren Gesichtern meinte er Überraschung und Enttäuschung zu entdecken: Als wüssten sie nach einer wilden Schlacht nicht mehr, wozu sie geschlagen wurde und was sie mit der Beute anfangen sollten.
An der Studiotür klemmte das Bezirksjournal mit der Werbung eines Stromversorgers. Albin beförderte beides per Weitwurf in den Papierkorb hinter dem Empfangspult, das einst auch als Ausschank von Erfrischungs- und
Weitere Kostenlose Bücher