Rot wie das Meer
seine Uisce -Stute, die sich von den anderen herumschubsen lässt, dafür aber einen überraschenden Ehrgeiz entwickelt, sobald sie nur noch deren Hinterteile sieht. Gabe versorgt ungefragt alle mit einem Glas Wasser. Und als wir dann essen, lasse ich die ganze Zeit meinen Teller nicht aus den Augen, denn ich bin überzeugt, dass keinem am Tisch meine Blicke entgehen können oder die Art, wie Sean sie erwidert.
53
Sean Ich wache auf, weil ich ein Weinen höre. Ich bin zu
spät nach Hause gekommen, habe zu lange gebraucht, um Schlaf zu finden. Einen Moment lang liege ich bloß da. Die Erschöpfung macht mich unwillig, vollends aufzuwachen, und doch: das Weinen.
Der Laut steigert sich zu einem gequälten Heulen und ich bin wach. Ich bin wach, streife mir Jacke und Stiefel über und bin mit meiner Taschenlampe auf der Treppe.
Der Stall ist dunkel, aber ich höre Bewegungen, nicht auf dem Gang, sondern in den Boxen. Die Pferde sind wach. Entweder hat das Geräusch sie aufgeweckt oder jemand war hier. Ich lasse meine Taschenlampe ausgeschaltet und schleiche durch die Dunkelheit.
Als ich mich dem Mittelgang nähere, wird das Wimmern lauter. Es scheint aus Corrs alter Box zu kommen, in die ich vor ein paar Stunden Edana gebracht habe.
So schnell, wie es geht, ohne ein Geräusch zu machen, husche ich den Flur hinunter. Das Heulen ist verstummt, aber ich bin jetzt sicher, dass es Edana ist. In der Box ist es so dunkel, dass ich kaum etwas erkennen kann. Die Nacht wirft ihr dunkelblaues Licht durch das Fenster und ich drücke mich gegen die Gitterstäbe und spähe hinein.
Als Edana erneut aufjault, zucke ich zurück. Ihr Kopf ist direkt neben meinem Gesicht, an die Gitterstäbe gelehnt, der Hals an die Wand gepresst, die Nase zur Decke gewandt, ihr Maul steht offen.
Ich flüstere ihren Namen und sie antwortet mit einem erstickten Schrei. Meine Augen folgen der Linie ihres Halses über den Widerrist und finden schließlich den geschwungenen Umriss ihrer Hüfte, kurz
über dem Boden. Noch nie habe ich ein Pferd so stehen sehen. Ein Knoten der Übelkeit bildet sich in meinem Inneren, als ich die Tür aufschiebe und in die Box trete. Jetzt, da sich ihr Körper vor dem Licht, das zum Fenster hereinsickert, deutlicher abzeichnet, erkenne ich, dass sie mit Kopf und Nacken an der Wand lehnt und auf dem Hinterteil kauert wie ein Hund. Ihre Hinterbeine sind seitlich abgespreizt, als wäre sie auf zu glattem Boden ausgerutscht.
Ich berühre ihre Schulter; sie zittert. Eine schreckliche Ahnung überkommt mich. Ich lasse meine flache Hand von ihrem Widerrist hinunter über ihre Wirbelsäule gleiten, dann beuge ich mich über ihre zuckenden Hüften und taste mich weiter bis zu ihrer Kniesehne. Edana stöhnt.
Als ich meine Hand von ihr löse, ist sie nass. Ich hebe sie vor meine Augen und muss sie mir gar nicht erst näher vors Gesicht halten, um das Blut daran zu riechen. Ich ziehe meine Taschenlampe aus der Tasche und knipse sie an.
Jemand hat ihr beide Kniesehnen durchtrennt.
Die obere Kante des Schnitts wirkt wie ein boshaftes Grinsen und über ihre Sprunggelenke rinnt Blut.
Ich gehe zu ihrem Kopf und ihr Körper erbebt, als sie versucht, die Beine unter den Rumpf zu ziehen. Ich streiche ihr über den Schopf und flüstere ihr ins Ohr. Ganz ruhig. Hab keine Angst. Ich warte ab, bis sich ihr Atem ein wenig beruhigt, bis sie mir glaubt.
Sie wird nie wieder laufen können.
Ich begreife es nicht. Ich begreife nicht, wer ausgerechnet Edana so etwas antun sollte, einem Pferd, das nicht einmal das Rennen läuft, das für niemanden eine Bedrohung war. Es ist ein Akt sinnloser Grausamkeit – und ich sollte sie finden, mich sollte ihr Anblick krank machen. Mir fällt nur eine einzige Person ein, die mich dermaßen würde verletzen wollen.
In dem Moment meine ich irgendwo in den Tiefen des Stalls ein Rascheln zu hören.
Ich knipse die Taschenlampe aus.
In dieser Dunkelheit, in dieser Box, wirkt Edanas braunes Fell Corrs blutrotem sehr ähnlich. Der Unterschied wäre leicht zu übersehen, wenn man Corr in dieser Box vermutet und sich darauf konzentriert, unbeschadet an ihn heranzukommen.
Wieder ein Geräusch, irgendwo weiter weg im Stall.
Ich stürze aus der Box auf den Gang hinaus. Dort bleibe ich stehen und lausche. Mein Herz scheint mir vorauszurasen. Ich bete, dass dieses Geräusch von überall her gekommen ist, nur nicht aus einer der sieben Boxen im hinteren Teil des Stalls. Ich bete, dass Mutt Malvern sich bei seiner
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