Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
und dann auf die Spitzen seines Speers an Corrs Schulter.
    Ich weiß, woran er denkt, weil ich an dasselbe denke. An Benjamin Malvern, der zu George Holly sagt, ich sei der rechtmäßige Erbe des Hofs. An den Namen Skata auf der Tafel in der Fleischerei. An die atemberaubende Schnelligkeit der Scheckstute.
    Es ist wie ein Sirenengesang und er schlägt ihn in seinen Bann.
    Mutt tritt rückwärts aus der Box. Corr macht einen Satz an die Stelle, wo er gestanden hat. Seine Augen sind wild. Ich sehe die blutigen
    Punkte, die der Speer an seiner Schulter hinterlassen hat, und als Mutt die Tür zuschiebt, stürze ich mich auf ihn und drücke ihm mein kleines Springmesser an den massigen Hals. Ich sehe die Haut dort unter seinem Pulsschlag zucken. Meine Klinge liegt direkt daneben.
    »Ich dachte, du hättest gesagt, ich soll euch am Strand schlagen«, krächzt Mutt. Corr schlägt mit den Hufen gegen die Wand seiner Box.
    Meine Worte sind nichts als ein Zischen durch zusammengebissene Zähne. »Ich habe auch gesagt, zehn Tropfen deines Bluts für einen Tropfen von seinem.« Ich will, dass sich sein Blut in einer Pfütze zu seinen Füßen sammelt, wie ich es bei Edana gesehen habe. Ich will ihn gegen diese Wand sacken sehen und genauso wimmern hören wie sie. Ich will, dass er sich an David Prince' im Tod erstarrte Miene erinnert, wenn sein Gesicht denselben Ausdruck annimmt.
    »Sean Kendrick.«
    Die Stimme kommt von hinten. Ich senke den Kopf und Mutt fängt meinen Blick auf.
    »Ist es nicht ein bisschen spät für die Art von Zeitvertreib?«
    Ich muss all meine Willenskraft aufwenden, um mein Messer zuschnappen zu lassen und von Mutt zurückzutreten. Mutts Hände hängen an seinen Seiten und umklammern noch immer den Speer und das grässliche Fleischermesser mit der blutverschmierten Klinge. Wir drehen uns beide zu seinem Vater um, der an der Tür im Gang steht, neben ihm Daly. Er trägt ein geknöpftes Unterhemd, in dem er geschlafen haben muss, aber selbst das tut seinem gebieterischen Auftreten keinen Abbruch. Daly weicht verschämt meinem Blick aus.
    »Matthew, dein Bett wartet auf dich.« Malverns Stimme klingt ruhig, aber seine Haltung verheißt etwas anderes. Er sieht Mutt in die Augen und einen Moment lang passiert gar nichts. Dann verhärtet sich seine Miene und Mutt geht, ohne ein Wort oder einen Blick zu mir, an ihm vorbei.
    Malvern wendet sich mir zu. Ich zittere noch immer, voller Entset-
    zen über das, was Mutt beinahe Corr angetan hätte, und über das, was ich bereit war, Mutt dafür anzutun.
    »Mr Daly«, sagt Malvern, ohne den Kopf zu wenden. »Danke für Ihre Hilfe. Sie können jetzt zurück ins Bett gehen.«
    Daly nickt und verschwindet.
    Benjamin Malvern steht eine Armlänge von mir entfernt, den Blick fest auf mich gerichtet. »Haben Sie mir irgendetwas zu sagen?«
    »Es ...« Ich schließe einen Moment die Augen. Ich muss mich zusammenreißen. Muss meine innere Ruhe wiederfinden. Es gelingt mir nicht; ich bin völlig hilflos. Ich stehe im Meer, die Hände zum Himmel erhoben. Die Strömung kann mir nichts anhaben. Ich öffne die Augen wieder. »... hätte mir nicht leidgetan.«
    Malvern legt den Kopf schräg. Eine Weile betrachtet er mich, das Messer in meiner Hand, mein Gesicht. Dann verschränkt er die Hände hinter seinem Rücken. »Mr Kendrick, erlösen Sie diese Stute von ihren Qualen.«
    Er dreht sich um und verlässt den Stall.

54
    Sean Der nächste Tag ist kalt und erbarmungslos. Der Wind peitscht den Pferden um die Beine und macht sie wild. Über unseren Köpfen fliehen Wolken wie zerfetzte Atemschwaden vor der Kälte. Über und unter uns erstreckt sich gleichermaßen ein grauer Ozean.
    Ich treffe mich mit Puck am oberen Ende der Klippenstraße. Sie runzelt die Stirn, als sie mich sieht, ich weiß, dass mein Gesicht nach letzter Nacht eine Wüste der Erschöpfung sein muss. Ihr Haar ist unter einer unförmigen Strickmütze verschwunden, aber ein paar Strähnen wehen ihr trotzdem ins Gesicht. Die Händler haben ihre liebe Mühe, ihre Zeltplanen bei diesem Wind am Wegfliegen zu hindern. Die Reiter auf dem Weg zum Strand haben ähnliche Schwierigkeiten mit ihren Pferden.
    Puck zieht mit einer Hand den Rand ihrer Mütze hinunter. Irgendetwas in unserer Nähe knarrt und ächzt im Wind. Dove reißt den Kopf hoch. Ich sehe Furcht in ihren weit aufgerissenen Augen.
    »Bring Dove nach Hause«, sage ich zu Puck. »Das hier ist kein Tag für den Strand.«
    »Aber wir haben keine Zeit mehr«, entgegnet

Weitere Kostenlose Bücher