Rot wie das Meer
Abend übergeht, kommt
Beech Gratton und er und Gabe begrüßen sich mit grimmig auf-einandergepressten Lippen. Dann ziehen wir uns an und machen uns auf den Weg zu den Westklippen.
Gabe hat uns nicht viel über Tommys Beerdigung gesagt, nur dass die Falks zu »Alt-Thisby« gehören, was bedeutet, dass bei der Zeremonie weder die St.-Columba-Kirche noch Pfarrer Mooneyham eine Rolle spielen werden, sondern sie auf den Felsen nahe beim Meer stattfinden wird. Finn blickt nervös, als er das hört, denn der Gedanke an alles, was seine unsterbliche Seele bedrohen könnte, schien ihm noch nie zu behagen, aber Gabe ermahnt ihn, sich zusammenzureißen. Er sagt, dieser Glaube sei genauso gut wie der unserer Eltern und die Falks seien so wunderbare Leute, wie man sie nicht alle Tage trifft. Doch seine Stimme wirkt dabei so abwesend, als würde er die Worte bloß aus irgendeinem Vorratsschrank hervorholen. Ich kann spüren, dass er zu ertrinken droht, aber ich weiß nicht, was ich tun soll, um ihn aus dem Wasser zu retten.
Um den Weststrand zu erreichen, der felsiger und unwegsamer ist als der Rennstrand, müssen wir erst die hohen, zerklüfteten Klippen überwinden. Der Ozean schimmert golden im Abendlicht und direkt am Wasser brennt ein Feuer. Eine kleine Trauergemeinde erwartet uns; unter ihnen erkenne ich viele der Fischerfreunde unseres Vaters.
»Danke, dass ihr gekommen seid, Gabe«, sagt Tommy Falks Mutter. Jetzt weiß ich endlich, woher Tommy seinen Mund hatte, doch ich kann nicht erkennen, ob auch der Rest von ihr hübsch ist, denn ihre Augen sind rot und verquollen vor Gram.
Sie ergreift Gabes Hände und Gabe sagt, so ernst, dass ich trotz allem plötzlich ungeheuer stolz auf ihn bin, zu ihr: »Tommy war mein bester Freund auf der ganzen Insel. Ich hätte alles für ihn getan.« Sie erwidert etwas, was ich nicht verstehe, als mir zu meinem Erstaunen bewusst wird, dass Gabe weint. Er redet ganz normal weiter, doch mit jedem Wimpernschlag strömen ihm die Tränen über die Wangen. Verwirrt stelle ich fest, dass ich den Anblick nicht ertragen kann, darum lasse ich ihn und Finn mit ihr allein und gehe zum Feuer.
Es dauert nur einen Moment, bis ich begreife, dass dies kein normales Feuer ist, sondern ein Scheiterhaufen. Es raucht und knistert und ist so laut wie nichts anderes an diesem Strand. Die Flammen zeichnen sich orange und weiß vor dem tiefen Blau des Abendhimmels ab und der nasse, glatte Sand reflektiert ihren Schein wie ein Spiegel. Mit jeder Welle erlischt das Spiegelbild, um kurz darauf wieder zurückzukehren. Das Feuer muss schon seit einer ganzen Weile brennen, ein Haufen glühender Kohlen und Asche hat sich darunter gesammelt und ich muss schlucken, als ich ein unversehrtes Stück von Tommy Falks Jacke erkenne, das an einem der Holzscheite hängen geblieben ist.
Ich denke: Er hat doch gerade noch mit dieser Jacke an unserem Tisch gesessen.
»Sie sind Puck, richtig?«
Ich sehe nach links und dort steht ein Mann, die Hände ordentlich vor dem Bauch gefaltet, als stünde er in einer Kirche. Als ich ihn eingehender betrachte, erkenne ich ihn, natürlich, als Norman Falk, denn in genau derselben Haltung hat er früher zu Hause bei uns in der Küche gestanden und mit unserer Mutter geplaudert. Ich habe bloß jedes Mal, wenn ich sein Gesicht sah, Fischer gedacht und nicht Tommy Falks Vater. Neben ihm steht ein Kind, vielleicht eins von Tommys Geschwistern. Norman Falk sieht Tommy kein bisschen ähnlich. Er riecht wie Gabe und das heißt: nach Fisch.
»Es tut mir sehr leid«, sage ich zu ihm, denn das haben die Leute nach der Beerdigung unserer Eltern zu mir gesagt.
Norman Falks Augen sind trocken, als er ins Feuer blickt. Der kleine Junge schmiegt sich an sein Bein und Norman Falk legt ihm eine Hand auf die Schulter. »Wir hätten ihn so oder so verloren.«
Das scheint mir ein seltsamer Trost. Ich kann mir nicht vorstellen, so über Gabe zu denken. Entweder Gabe ist tot, was für immer wäre. Oder aber Gabe ist glücklich irgendwo und ich werde ihn vielleicht niemals wiedersehen. Für mich würde sich das vielleicht ähnlich anfühlen, aber mit ziemlicher Sicherheit nicht für Gabe.
»Er war sehr mutig«, sage ich, weil es in meinem Kopf höflich klingt. Mein Gesicht wird heiß so nah an den Flammen; ich würde gern ein Stück zurücktreten, aber ich will nicht, dass er denkt, ich würde vor dem Gespräch mit ihm fliehen.
»Ja, das war er. Jeder wird sich an ihn auf seiner Stute erinnern.«
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