Rot wie das Meer
Strandabschnitt treibt, hier und da in erbitterte Kämpfe vertieft, und rote Spuren im Sand. Ein schwarzes, totes Capaill liegt nah am Wasser; jede Welle umspült seine Beine, aber sie bewegen sich nicht. Dieser Tag ist nicht nur für Menschen gefährlich.
»Siehst du Tommy irgendwo?«, fragt Puck.
Ich kann ihn nirgends entdecken, weil es in dieser sich unablässig wandelnden Szenerie so viel anderes zu sehen gibt. Der Regen zischt mir um die Ohren.
Sie macht sich auf den Weg den Pfad hinunter und mir bleibt nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Am Fuß der Klippe stehen ein paar durchgefrorene Zuschauer und ein Mitarbeiter der Rennleitung. Ich glaube, es ist ein Carroll, ein Onkel von Brian und Jonathan. Den Kopf tief in den Kragen gezogen, bleibe ich stehen, um ihn etwas zu fragen.
»Was war hier unten los?« Meine Stimme geht im Wind fast unter; meine Augen liegen auf dem toten Wasserpferd.
»Ein Kampf. Die Pferde gehen aufeinander los. Die See hetzt sie auf.«
»Ist Tommy Falk hier unten?«, will ich wissen.
»Falk?«
»Schwarze Stute!«
»Die sehen doch alle schwarz aus, wenn sie nass sind«, ruft er zurück.
»Tommy Falk?«, wiederholt einer der Zuschauer neben ihm, dessen Kleiderwahl für den Strand – marineblauer Anzug und Krawatte –ihn als einen Mann vom Festland zu erkennen gibt. »Junger Bursche, ziemlich gut aussehend?«
Ich habe keine Ahnung, ob er gut aussehend ist oder nicht. »Ja, kann schon sein.«
Der Anzugträger deutet auf einen Vorsprung in der Klippe. Der Mann von der Rennleitung, dem soeben noch etwas eingefallen ist, fügt hinzu: »Jemand hat nach Ihnen gefragt, Mr Kendrick.« Ich warte darauf, dass er sagt, wer es gewesen ist, aber das tut er nicht, also gehe ich weiter. Während unseres Gesprächs habe ich Puck aus den Augen verloren. Bei diesem scheußlichen Wetter sehen hier unten alle gleich aus. Wenn alle Capaill Uisce schwarz sind, sobald sie nass werden, dann gilt das genauso für die Menschen. Am Strand wimmelt es nur so von dunklen, ungebändigten Wesen mit etwas kleineren dunklen Gestalten auf ihrem Rücken. Nach ihr zu rufen, hätte keinen Sinn, der heulende Wind verschluckt jeden Laut nach nicht einmal zwei Metern.
Kurz darauf entdecke ich nicht Puck oder Tommy, dafür aber seine Stute. Sie ist schwärzer als ein Spiegel und ihr eleganter Körperbau ist unverkennbar. Sie steht etwa zehn Pferdelängen entfernt im Schutz der Klippe, wo sie neben einem anderen Capaill Uisce angebunden ist, den Kopf dicht über dem Boden. Die Stute ist vollständig gesattelt, aber von Tommy Falk ist nichts zu sehen. Mir kommt der Gedanke, dass vielleicht auch Puck sie gesehen hat, und so laufe ich los, über die rutschigen Steine am oberen Teil des Strands in Richtung der Stute.
Doch bevor ich auch nur die Hälfte des Wegs hinter mir habe, sehe ich Puck. Hinter dem Klippenvorsprung, notdürftig vor dem Wetter geschützt und ordentlich nebeneinander aufgereiht, liegen vier Tote, dunkle Silhouetten auf dem grauen Sand: die Opfer dieses Morgens. Puck hockt neben einem von ihnen, ohne ihn zu berühren oder auch nur anzusehen. Sie kauert einfach bloß da, die Schultern gegen den Wind hochgezogen, und starrt auf den Boden zwischen ihren Füßen.
Ich gehe zu ihr und blicke hinunter auf das entstellte Gesicht von Tommy Falk.
55
Puck Als ich mich mit Dove auf den Weg mache, liegt Gabe noch immer im Bett und durch die halb offene Tür sehe ich, dass er an die Decke starrt. Als ich wieder nach Hause komme, hat er den Haufen Gerümpel, den ich an der Stelle aufgetürmt habe, wo das Capaill Uisce den Zaun durchbrochen hat, weggeräumt und hämmert wie wild Nägel in Bretter. Ich kann nicht im Haus bleiben, weil ich die ganze Zeit daran denken muss, dass morgen der Tag des Rennens ist und nur noch eine einzige Nacht Schlaf mich davon trennt, und so gehen Finn und ich zu Dory Maud und helfen ihr, eine neue Lieferung Kataloge versandfertig zu machen. Als wir zurückkommen, ist unser Hof vollkommen verwandelt – Gabe hat jedes Büschel Unkraut ausgerupft und jeden Fitzel Müll zu einem Berg hinter Doves Unterstand aufgeschichtet –, aber ich kann ihm ansehen, dass er Tommy Falks Tod darüber nicht vergessen hat. Als wir den Hof betreten, starrt er uns eine halbe Minute lang entgegen, bevor sich auf seinem Gesicht so etwas wie Erkennen zeigt. Seine Hände sind zittrig und ich zwinge ihn, etwas zu essen. Ich glaube nicht, dass er heute schon eine Pause gemacht hat. Als der Nachmittag in den
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