Rot wie das Meer
jeden Moment hier weg. Also: Ich will morgen nicht noch mal wiederkommen müssen und du willst ein Capaill. Was kannst du mir für sie geben?«
Sofort überlege ich fieberhaft: Wie viel habe ich?, dann aber fällt mir wieder ein, wie wenig hilfsbereit er am Anfang gewesen ist. »Erst mal gar nichts«, erwidere ich. Ich muss hart bleiben. Wenn Gabe uns wirklich hier alleinlässt, stehen wir genauso mit nichts da. »Ich bin nur an Fünfteln interessiert.«
»Diese Stute hier ist unglaublich«, sagt der Zwerg. »Im Moment das schnellste Tier an Land.« Er tritt einen Schritt zurück, damit ich sie begutachten kann, wie sie unruhig am Ende ihrer Führkette tänzelt, die er durch das Halfter über ihre Nase gezogen hat. Sie ist wunderschön und riesig. Ich habe das Gefühl, ich müsste zwei Doves übereinanderstapeln und mich obendrauf setzen, um der gescheckten Stute in ihre wilden Augen sehen zu können. Sie stinkt wie eine vom Sturm angespülte Leiche. Sie beobachtet einen der Hunde, die frei auf dem Strand umherwetzen. Etwas in ihrem Blick lässt mich erschaudern.
»Dann dürfte Sie doch eigentlich nichts davon abhalten, das Risiko einzugehen«, entgegne ich. Meine Laune wird immer schlechter, aber ich versuche, geschäftsmäßig zu klingen. Wie eine Erwachsene zu verhandeln, ist nicht leicht, besonders wenn einem bei der Aussicht auf Erfolg beinahe übel wird.
»Ich will nicht noch mal wiederkommen müssen«, erklärt der Händler.
Ich verschränke die Arme. Stelle mir vor, ich wäre Gabe. Er hat ein Talent dafür, kein bisschen beeindruckt oder interessiert zu wirken, obwohl er in Wirklichkeit beides ist. Ich versuche, so gelangweilt wie möglich zu klingen. »Entweder sie ist so toll, wie Sie sagen, oder sie ist es nicht. Wenn sie wirklich die Schnellste hier ist, warum trauen Sie ihr dann nicht zu, mehr zu gewinnen als das Geld, für das Sie sie verkaufen könnten?«
Der Zwerg mustert mich. »Es ist nicht die Stute, der ich nicht traue.«
Ich starre ihn finster an. »Dasselbe habe ich auch gerade gedacht.«
Plötzlich grinst er.
»Na dann, rauf mit dir«, sagt der Händler. »Lass mal sehen, was du kannst.« Er deutet mit dem Kinn auf den Sattel, den er aufrecht in den Sand gestellt hat.
Ich hole tief Luft und versuche, nicht an ihren Schrei zu denken. Ich versuche, nicht daran zu denken, wie meine Eltern gestorben sind. Ich versuche, an Gabe zu denken, an sein Gesicht, als er gesagt hat, dass er uns verlässt. Meine Hände müssten anfangen zu zittern, aber sie hängen reglos an meinen Seiten.
Ich schaffe das.
8
Puck Der Händler führt die Stute zu einem der mit Seetang bedeckten Felsbrocken, damit ich von dort aus aufsitzen kann. Tänzelnd umkreist sie den Stein, ohne ihm auch nur einmal nahe genug zu kommen. Dabei lässt sie noch immer den Hund nicht aus den Augen, der sich für ein ganz in der Nähe liegen gelassenes Frühstück interessiert. Der Wind ist kalt an meinem Hals und meine Zehen fühlen sich in meinen Stiefeln an wie kleine taube Steinchen.
»Ruhiger wird sie nicht«, informiert mich der Händler. »Willst du's nun versuchen oder nicht?«
Meine Hände sind zu Fäusten geballt, damit sie mich nicht verraten. Ich kann nur daran denken, wie solche riesigen Zähne meine Eltern ins Meer hinabgezerrt haben. Es ist noch nicht mal Angst, die mich zögern lässt. Es ist der Gedanke, dass sie mich womöglich von irgendwoher beobachten – ob sie vom Himmel aus auf diesen Strand herabblicken können oder ob vielleicht die Klippen im Weg sind? –, und an das, was sie von all dem hier halten würden. Sie hatten nie etwas für das Rennen übrig, dann haben die Pferde sie in ihrem Boot getötet und trotzdem bin ich gerade kurz davor, auf eines von diesen Ungeheuern zu steigen und mitzureiten. Ich kann Dads Gesicht genau vor mir sehen, das winzige, halbkreisförmige Fältchen, das sich immer auf seiner Oberlippe bildete, wenn er empört oder enttäuscht war.
Die Stute reißt ihren Kopf hoch; der Zwerg wird beinahe von den Füßen gezerrt.
Es muss einen anderen Weg geben. Es muss einen Weg geben, nicht auf diese Stute steigen zu müssen. Aber wie soll ich ohne sie das Rennen reiten?
Erst jetzt bemerke ich Finn, der aus heiterem Himmel neben dem Felsbrocken aufgetaucht ist, auf dem ich noch immer mein Gleichgewicht zu halten versuche. Er sagt nichts. Er sieht bloß zu mir hoch und seine Fingernägel graben sich wieder und wieder in seine Oberarme, ohne dass es ihm bewusst zu sein scheint.
»Hör
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