Rot wie das Meer
Hügellandschaft. Die Sonne schien, man schloss Wetten ab und der Favorit siegte mit zwei Pferdelängen Abstand. Dann fuhren wir wieder nach Hause und ich bin nie dorthin zurückgekehrt.
»Ich bin kein Jockey«, erkläre ich. Corr bewegt sich auf uns zu und ich lasse meine Peitsche durch die Luft schnellen, um ihn zurück in Richtung Wand zu treiben. Die Peitsche ist nicht lang genug, um ihn zu treffen, aber an einem Ende ist ein Schlag aus rotem Leder befestigt, der ein Knallen von sich gibt und Corr in Erinnerung ruft, wo sein Platz ist.
»Ich auch nicht«, verkündet Holly schulterzuckend und vergräbt die Hände in seinen Taschen. Er dreht sich in meinem Tempo auf der Ferse mit und beobachtet Corr, der uns nun wieder umkreist. »Nur ein Pferdenarr.«
Jetzt, da er mir seinen Namen gesagt hat, kann ich ihn einordnen. Ich bin ihm nie zuvor begegnet, aber ich kenne seinen Agenten, der jedes Jahr herkommt und ein paar der Jährlinge kauft. Holly ist das amerikanische Gegenstück zu Malvern, Besitzer eines riesigen Gestüts, das für seine hochklassigen Spring- und Jagdpferde bekannt ist, und exzentrisch genug, um den weiten Weg nach Thisby auf sich zu nehmen, wenn er dadurch seinen Bestand aufbessern kann. »Pferdenarr« ist eine grandiose Untertreibung, wenn auch eine, die ihn mir sympathischer macht.
Und Malvern stellt ausgerechnet mich als seinen Babysitter ab. Ich sollte mich geschmeichelt fühlen. Stattdessen überlege ich, wie ich ihn am schnellsten wieder loswerde, damit ich endlich hinunter zum Strand kann.
»Meinen Sie, Benjamin Malvern würde sich von dem Tier tren-
nen?«, fragt Holly. Er begutachtet Corrs Schritte, die keinerlei Ermüdung preisgeben, und stellt ihn sich wahrscheinlich schon auf heimischem Boden vor.
Mein Atem stockt kaum merklich. Zum ersten Mal bin ich erleichtert über die Antwort auf diese Frage, obwohl sie mir schon so oft schlaflose Nächte beschert hat. »Malvern verkauft seine Wasserpferde nicht.«
Davon abgesehen ist es verboten, die Pferde von der Insel zu entfernen, aber das scheint mir kein Argument zu sein, von dem sich jemand wie Holly beeindrucken lassen würde. Wenn er ein Pferd wäre, müsste ich ihn vermutlich sehr lange im Kreis traben lassen, um ihn weich zu machen.
»Vielleicht hat ihm einfach noch niemand den richtigen Preis geboten.«
Meine Finger verkrampfen sich um die Longe, bis Corr meine Anspannung spürt und mir sein Ohr zuwendet, wie immer äußerst sensibel für meine Stimmungen. »Es waren gute Angebote dabei.«
Zumindest eines. Nämlich meine gesamten Ersparnisse aus mehreren Jahren, mein Anteil des Preisgelds von jedem meiner Siege. Ich könnte mir zehn von Malverns Jährlingen kaufen, zehn seiner anderen Pferde. Nur nicht das einzige, das ich will.
»Tja, Sie werden wohl wissen, wovon Sie sprechen«, erwidert Holly. »Aber manchmal geht es den Leuten ja auch gar nicht um Geld.« Er klingt nicht verärgert; dieser Mann ist so daran gewöhnt, Pferde zu kaufen und eben auch manchmal nicht zu bekommen, dass ihn keins von beidem aus der Ruhe bringt. »Trotzdem, er ist wirklich ein Prachtkerl. Tja, Malvern-Pferde eben. Verflixt aber auch!«
Er ist so ehrlich begeistert, dass es nicht leicht ist, ihn nicht zu mögen.
Ich frage: »Wie lange bleiben Sie?«
»Am Tag nach dem Rennen bin ich auf der Fähre, zusammen mit allem, ohne das ich nach Benjamin Malverns Überzeugungsarbeit nicht mehr leben kann. Wie wär's, wenn Sie auch mitkommen? Einen
Mann wie Sie könnte ich gut gebrauchen. Nicht als Jockey, sondern als das, was immer Sie wollen.«
Ich schenke ihm ein dünnes Lächeln, das zeigt, wie aussichtslos seine Bemühungen sind.
»Ich sehe schon«, nickt Holly schließlich. Er deutet mit dem Kinn auf Corr. »Darf ich ihn mal einen Moment halten? Lässt er das zu?«
Er fragt so höflich, dass ich ihm tatsächlich die Longe und meine Peitsche reiche. Holly nimmt beides vorsichtig entgegen, seine Füße rücken automatisch ein Stück auseinander, um sich einen sichereren Stand zu verschaffen. Die Peitsche liegt locker in seiner rechten Hand, wie eine Verlängerung seines Arms. Der Mann muss schon Hunderte von Pferden an der Longe gehabt haben.
Trotzdem stellt Corr ihn sofort auf die Probe. Er wirft den Kopf nach oben und bewegt sich auf uns zu, sodass Holly die Peitsche heben muss. Corr stört sich nicht daran.
»Knallen lassen«, sage ich, bereit, jederzeit zu übernehmen, wenn es sein muss. »Sie müssen sie knallen lassen.«
Holly lässt die
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