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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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von Palsson versprochen hatte, und die waren immer ziemlich schnell ausverkauft. Ein kleines bisschen schäme ich mich heute noch dafür, dass ich damals Brian drohte, ich würde auf sein Grab spucken, wenn er jetzt stürbe und ich deswegen keine Zimtschnecke bekäme. Ich habe keine Ahnung, ob er sich daran erinnert, weil er damals hauptsächlich darauf konzentriert war, durch seine Hände zu atmen, die er sich wie einen Trichter vor den Mund hielt. Ich hoffe, er weiß es nicht mehr, denn
    seit damals bin ich ein sehr viel besserer Mensch geworden. Heute würde ich den Teil mit dem Spucken lediglich denken.
    Aber im Moment spielt das sowieso keine Rolle, denn es ist nicht Brian, sondern Jonathan, der die Leckerchen wirft. Er sieht von mir zu Dove und dann zu Finn, bevor er schließlich sagt: »Hallo, Pony«, was die Theorie mit dem Puddinghirn zu bestätigen scheint.
    »Warte hier«, sage ich zu Finn. »Fang schon mal an abzuladen. Ich regle das mit dem Karren.«
    Fathom & Sons ist ein enger, dunkler Schlauch, vollgestopft wie eine Weihnachtsgans mit allem möglichen Trödel, dessen Preisschildchen im schummrigen Licht leuchten wie weiße Zähne. Aus irgendeinem Grund riecht es hier immer nach gebräunter Butter – also absolut himmlisch. Ich weiß nicht, wie viele Kunden in den Laden selbst kommen, um dort etwas zu kaufen, denn das größte Geschäft machen die Schwestern am Wochenende oder um das Rennen herum an ihrem Stand. Darum sind die Preisschildchen und der köstliche Butterduft die meiste Zeit des Jahres vermutlich Verschwendung.
    Der heutige Tag bildet da keine Ausnahme; sobald ich die Tür aufmache, atme ich tief und ein bisschen hungrig ein. Drinnen sind die Schwestern gerade in einen Streit vertieft, wie immer. Ich bin kaum über die Schwelle in das dämmrige Durcheinander getreten, als Dory Maud mir einen Katalog in die Hand drückt.
    »Da«, sagt sie. »Guck dir das an. Du würdest daraus was kaufen, oder, Puck?« Die Schwestern nennen mich Puck und nicht Kate, weil die drei sich darüber einig sind, dass man selbst entscheiden sollte, wie man genannt wird, statt sich einfach mit dem Namen abzufinden, der einem bei seiner Geburt verpasst worden ist. Ich kann mich nicht daran erinnern, sie jemals darum gebeten zu haben, mich Puck statt Kate zu nennen – denn schließlich sind das beides irgendwie meine Namen –, aber es macht mir auch nichts aus.
    »Sie hat doch gar kein Geld«, ruft Elizabeth verächtlich von der Treppe im hinteren Teil des Ladens aus. Die Treppe führt in den ersten Stock, in dem die Schwestern gemeinsam wohnen. Ich bin noch nie dort gewesen, obwohl ich es mir insgeheim schon lange wünsche. Da oben muss alles voller Schuhe und Betten sein. Und Butter.
    »Klar, dass das für sie alles toll aussieht«, fügt Elizabeth noch hinzu.
    Ich sehe mir an, was Dory Maud mir gegeben hat. Zu meiner Überraschung ist es ein säuberlich gedruckter Katalog von Fathom & Sons. Als ich die Hände öffne, klappt er auf einer beliebigen Seite auf, mit ziemlich schicken Schwarz-Weiß-Zeichnungen von einer Frau in einem Strickpullover, zwei Händen, die in einem gehäkelten Paar Handschuhe stecken, und einem körperlosen Hals, der eine Kette mit einem dieser Steinkreuze trägt, auf die die Touristen so wild sind. Zu jedem Artikel gibt es eine ausführliche Beschreibung, während ein Banner auf der Seite verkündet: MODE MIT GESCHICHTE – MODE FÜR DIE EWIGKEIT! JETZT KAUFEN UND SPAREN! Es sieht aus wie ein richtiger Katalog, wie manchmal welche mit dem Postschiff kommen, nur dass lauter Sachen aus dem Laden darin sind. Meine schlechte Laune schmilzt dahin.
    »Das ist ja fantastisch«, flüstere ich. Ich trete ein Stück zur Seite, damit die uralte, verstaubte Fruchtbarkeitsgöttin neben der Tür aufhört, mir ihre Steinfinger in die Schulter zu bohren. Sie hütet schon sehr lange den Laden. »Wie habt ihr das hinbekommen? Diese gestochen scharfen Buchstaben! Es sieht alles so perfekt aus!«
    »Mr Davidge, der Drucker, hat ihn gemacht«, erklärt Dory Maud zufrieden, während sie mir über die andere Schulter späht.
    »Weil Dory Maud es mit Mr Davidge gemacht hat«, frotzelt Elizabeth von der Treppe. Sie ist noch im Nachthemd und ihre künstlich gedrehten, zwei Tage alten Locken hängen ihr schlaff ins Gesicht.
    »Ach, geh du mal zurück ins Bett«, erwidert Dory ohne jede Schärfe. Ich denke lieber nicht zu genau darüber nach. Mum hat Dory immer als »robust« bezeichnet, was in etwa heißt, dass sie

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