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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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das Mädchen.
    Ich grüble unablässig über das Rätsel ihrer Anwesenheit nach, während ich meine Ledertasche aufklappe und das wachspapierumhüllte Bündel heraushole, das ich eingesteckt habe, bevor ich mich auf den Weg machte. Ich werfe die Fleischstücke in den Kreis, aber die Stuten rühren sie nicht an. Sie beobachten das Pony und das Mädchen im Wasser, ein sehr viel verlockenderer Anblick.
    Meine Tasche über die Schulter geschlungen, gehe ich zurück zum Eingang der Spalte, verschränke die Arme und warte auf eine Lücke in dem mörderischen Gewirr aus Pferden und Menschen, bis ich wieder die Stute und das Mädchen sehen kann. An der Stute ist nichts Besonderes, nicht im Geringsten. Gute Kopfform, passabler Körperbau. Für ein Pony ist sie eine Schönheit. Neben den Capaill Uisce ist sie ein Nichts.
    Auch an dem Mädchen ist nichts Besonderes – schmal, rötlicher Pferdeschwanz. Sie sieht weniger ängstlich aus als ihre Stute, dabei ist sie in größerer Gefahr.
    Eine meiner Stuten schreit und ich wende mich kurz zu ihr um, greife in meine Tasche und werfe eine Handvoll Salz in ihre Richtung. Sie reißt den Kopf hoch, als etwas davon ihr Gesicht trifft – unangenehm, aber nicht schmerzhaft.
    Ich blicke ihr so lange in die Augen, bis sie begreift, dass dort, wo
    das Salz hergekommen ist, noch mehr ist. Sie ist eine Braune ohne Abzeichen, was angeblich ein Zeichen für Schnelligkeit ist, aber um die einschätzen zu können, müsste ich sie erst mal dazu bringen, in einer einigermaßen geraden Linie zu laufen.
    Ich wende mich wieder dem Ozean zu und der Wind weht mir Sand ins Gesicht, gerade so hart, dass es unangenehm, aber nicht schmerzhaft ist. Die Parallele entlockt mir ein dünnes Lächeln und ich schlage meinen Kragen hoch. Das Mädchen lässt sein Pony wieder Kreise durchs Wasser laufen. Ich muss ihr zugestehen, dass sie sich den einzigen Ort ausgesucht hat, an dem sich ihr heute niemand nähern wird. Allerdings sind die Capaill Uisce hier am Strand nicht die Einzigen, vor denen sie sich in Acht nehmen muss, aber das scheint ihr bewusst zu sein. Sie behält die heranrollenden Wellen genau im Auge. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie ein Capaill Uisce auf der Jagd rechtzeitig entdecken würde – wenn die Pferde, blitzschnell und dunkel unter Wasser, parallel zum Wellengang schwimmen, sind sie so gut wie unsichtbar –, aber an ihrer Stelle würde ich auch ständig hinsehen.
    Irgendwo in der Nähe stöhnt ein Mann; er ist einem Pferd unter die Hufe geraten, abgeworfen oder gebissen worden. Er klingt verärgert –oder überrascht. Hat ihm denn niemand gesagt, dass der Schmerz an diesem Strand zu Hause ist, tief im Sand vergraben, genährt durch unser Blut?
    Ich beobachte die Hände des Mädchens an den Zügeln, seinen sicheren Sitz. Reiten kann sie, aber das kann hier auf Thisby jeder.
    »So was sieht man nicht alle Tage, was?«, ertönt Gorrys Reibeisenstimme. »Aber die Klamotten lösen sich nicht auf, da kannst du starren, so viel du willst, Sean Kendrick.«
    Ich blicke ihn gerade lange genug an, um zu sehen, dass er die Scheckstute nicht losgeworden ist, und dann noch eine Sekunde länger, um ihm zu zeigen, dass es mir nicht entgangen ist. Dann blicke ich wieder zum Meer. Vor uns sind ein paar Pferde in eine Rangelei verstrickt, sie fauchen und schlagen nach einander wie ein Haufen
    streitlustiger Kater. Glöckchen schrillen. Jedes Wasserpferd an diesem Strand giert nach der See, nach der Jagd.
    Ich mustere noch einmal die Scheckstute. Gorry hat Kupferdraht um ihr Halfter gewickelt, was eindrucksvoll aussieht, aber nicht das Geringste bewirkt.
    »Sie hat sich fürs Rennen angemeldet«, sagt Gorry. Er raucht und deutet mit seiner Zigarette auf das Mädchen im Wasser. »Mit ihrem Pony. Heißt es zumindest.«
    Der Geruch seiner Zigarette brennt mir stärker in der Nase als der Wind. Sie will auf diesem Pony das Rennen reiten? Die beiden werden nicht mal die erste Woche überleben.
    Die Scheckstute scharrt im Sand; ich sehe ihre Bewegung aus den Augenwinkeln und höre, wie sie mit den Zähnen knirscht. Dieses Halfter ist ihr Joch, die Insel ihr Gefängnis. Sie riecht noch immer nach Verwesung.
    »Tja, ich krieg die Stute nicht verkauft, dank dir«, schimpft Gorry. »Dir und deiner Expertenmeinung.« Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wenn man mit Monstern handelt, muss man damit rechnen, dass hin und wieder eins dabei ist, das zu monströs ist.
    Wieder der Klang von Glöckchen, ich blicke über

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