Rot wie das Meer
sich sieht, der über die Felder einer fremden Insel galoppiert.
»Quinn Daly hat mir erzählt, was er gesehen hat«, setzt Malvern erneut an. »Er hat mir erzählt, dass Sie Fundamental in der Bucht trainiert haben. Er sagte, Sie hätten abgelenkt gewirkt. Er sagte, Sie wären mit den Gedanken nicht bei Ihrer Arbeit gewesen und hätten eine Bedrohung im Wasser niemals rechtzeitig erkannt.«
Ich war mit meinen Gedanken tatsächlich nicht bei der Arbeit. Sondern bei dem rothaarigen Mädchen und seinem Inselpony und dem Blut der kämpfenden Stuten im Sand. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Malvern mich deswegen feuert, kann mir nicht vorstellen, dass er mich jemals wegen irgendetwas feuert, andererseits kann ich es doch. Mein Job steht auf Messers Schneide.
Ich blicke Malvern in die Augen. »Was hat Quinn Daly Ihnen sonst noch erzählt?«
»Dass Matthew ihn auf seinem Posten abgelöst hat und die Bucht für ihn überwachen wollte. Dass er im nächsten Moment nur noch gesehen hat, wie Fundamental unter Wasser gezogen wurde und Sie ihm hinterhergesprungen sind.« Malvern faltet die Hände vor sich auf dem Tisch. »Aber mein Sohn behauptet etwas anderes. Sein Wort steht gegen Dalys. Was haben Sie dazu zu sagen?«
Ich beiße die Zähne aufeinander. Dieses Spiel kann ich nicht gewinnen. Ich ziehe die Worte in die Länge. »Ich kann nicht gegen Ihren Sohn sprechen.«
»Das müssen Sie auch nicht«, antwortet Malvern. »Der Zustand Ihrer Jacke zeigt mir, welche Geschichte der Wahrheit entspricht.«
Wir schweigen beide.
Schließlich sagt Malvern: »Wie gern würde ich Ihre Gedanken lesen. Was erwarten Sie sich vom Leben?«
Auf diese Frage war ich nicht vorbereitet. Wenn es einen Menschen gäbe, dem ich, ohne zu zögern, mein Herz ausschütten würde, dann wäre dieser Mensch nicht Benjamin Malvern. Ich kann mir nicht vorstellen, Malvern meine geheimsten Wünsche zu gestehen, genauso wenig, wie er das mir gegenüber tun würde.
Sein Blick liegt noch immer auf mir und ich erwidere: »Ein Dach über dem Kopf, Zügel in den Händen und den Strand unter mir.« Eine verschlankte, gekürzte Version der Wahrheit.
»Dann haben Sie also bereits alles, was Sie wollen.«
Ich kann nicht hier mit ihm beim Tee sitzen und ihm offenbaren, dass es mein größter Wunsch ist, von ihm frei zu sein.
»Es ist lange her, dass ich diesen ersten Hengst zugeritten habe«, sagt Malvern. »Ich weiß nicht, wie der Pfad, den ich damals eingeschlagen habe, auf andere gewirkt hat – meine Entscheidung, hierher, auf diese Ruine von einer Insel irgendwo draußen im Ozean, zu ziehen. Darum kann ich auch Matthews Pfad nicht beurteilen und was er mit seinem Verhalten bezweckt.«
Mutt Malvern mag auf einigen Pfaden unterwegs sein, aber ich bin mir sicher, wir beide wissen, dass keiner davon ihn an die Spitze eines international angesehenen Gestüts führen wird.
»Nun gut. Hatten Sie genug Zeit, um einzuschätzen, wie die Pferde sich machen werden?« Malvern will wissen, welches seiner Wasserpferde das schnellste ist.
»Das wusste ich schon am ersten Tag.«
Malvern lächelt. Es ist kein freundliches Lächeln, aber seine Un-
freundlichkeit richtet sich nicht gegen mich. »Also, welches ist das langsamste?«
»Die Braune ohne Abzeichen«, erwidere ich, ohne zu zögern. Ich habe ihr keinen Namen gegeben, weil sie ihn sich erst verdienen muss. Sie ist launisch und verrückt nach dem Meer; sie ist nicht schnell, weil ihr das, was ein Reiter von ihr verlangt, kein Vergnügen bereitet.
»Und welches ist das schnellste?«
Ich warte kurz ab, bevor ich antworte. Ich weiß, dass meine Antwort seine Entscheidung beeinflusst, welches Pferd Mutt in diesem November reiten wird. Ich will nicht die Wahrheit sagen, aber zu lügen hat keinen Sinn, denn er würde es sowieso herausfinden. »Corr. Der rote Hengst.«
Malvern fragt weiter: »Und welches ist das sicherste?«
»Edana. Die Braune mit der Blesse.«
Jetzt blickt Malvern mich an. Blickt mich zum ersten Mal wirklich an. Er runzelt die Stirn, als sähe er mich plötzlich in einem ganz neuen Licht, den Jungen, den er in dem Zimmer über seinem Stall hat aufwachsen sehen, der seit Jahren seine Pferde trainiert. Ich sehe in meine Teetasse. Er fragt: »Warum sind Sie Fundamental ins Wasser hinterhergesprungen?«
»Ich war für ihn verantwortlich.«
»Schön und gut, aber er war ein Malvern-Pferd. Dieser Hengst hat meinem Sohn gehört.« Benjamin Malvern schiebt seinen Stuhl zurück und steht auf.
Weitere Kostenlose Bücher