Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
ich, dass auch er mich entdeckt hat und unsicher ist, ob er in den Laster steigen soll, was mich insgeheim freut. Der Gedanke, dass ich ihn verunsichere, gefällt mir. Finster stiere ich ihm entgegen.
    Grattons Gesicht aber muss genau das Gegenteil ausdrücken, denn Sean Kendrick wirft einen Blick den Weg zurück, den er gekommen ist, und kommt dann auf die andere Seite des Lasters. Meine Seite. Gratton öffnet seine Tür und befiehlt seiner Hündin, auf die Ladefläche zu springen, was sie auch tut, nachdem sie uns alle mit einem giftigen Blick bedacht hat. Ich rücke weiter auf ihren Sitz – jetzt, direkt neben Gratton, fällt mir auf, dass er nach den Zitronen-Halsbonbons riecht, deren Einwickelpapier überall auf dem Boden verstreut liegt. Ich durchforste fieberhaft mein Gehirn nach irgendetwas Schlagfertigem, was ich zu Sean sagen kann, wenn er die Beifahrertür öffnet, etwas, was sowohl impliziert, dass ich nicht vergessen habe, was er am Strand zu mir gesagt hat, als auch, dass ich nicht im Geringsten beeindruckt oder gar eingeschüchtert bin, und ihm außerdem möglichst noch klarmacht, dass ich cleverer bin, als er denkt.
    Sean Kendrick öffnet die Tür.
    Er blickt mich an.
    Ich blicke ihn an.
    Von so Nahem ist sein Gesicht fast zu hart, um gut auszusehen: kantige Wangenknochen, eine rasiermesserscharfe Nase und dunkle Augenbrauen. Seine Hände sind voller Blutergüsse und Kratzer von seiner Arbeit mit den Capaill Uisce. Wie ich es von den Fischern hier auf der Insel kenne, scheinen auch seine Augen permanent gegen die Sonne und das Meer zusammengekniffen zu sein. Er sieht aus wie ein wildes Tier. Und zwar kein freundliches.
    Ich sage nichts.
    Er steigt in den Wagen.
    Als er die Tür zuschlägt, klemme ich zwischen Thomas Grattons Bein, das ich mir genauso rot wie den Rest von ihm vorstelle, und Sean Kendricks, das sich hart anfühlt. Wegen der geringen Größe des Führerhauses sitzen wir Schulter an Schulter, und wenn Gratton aus Mehl und Kartoffeln besteht, ist Sean aus Stein und Treibholz gemacht und vermutlich noch ein paar von diesen piksigen Seeanemonen, die manchmal an den Strand gespült werden.
    Ich lehne mich von ihm weg. Er blickt aus dem Fenster.
    Gratton summt vor sich hin.
    Der Border-Collie auf der Ladefläche winselt. Das Ruckein des Lasters zerhackt den Laut in ein stockendes, unzusammenhängendes Fiepen.
    »Wie man hört, ist Mutt – Matthew – nicht ganz zufrieden mit dem Pferd, das du für ihn ausgesucht hast«, beginnt Gratton freundlich zu plaudern.
    Sean Kendrick wirft ihm einen scharfen Blick zu. »Und wer behauptet das?«
    Ich bin überrascht über seine Stimme, wie anders sie klingt, wenn er normal spricht, anstatt über den Wind hinweg zu schreien. Sie lässt
    ihn weicher wirken. Er riecht nach Heu und Pferden, was ihn mir ein kleines bisschen sympathischer macht.
    »Oh, er selbst«, erwidert Gratton. »Hat vorhin mitten im Laden einen Wutanfall gekriegt. Meint, du willst, dass er verliert, und verträgst keine Konkurrenz.«
    »Ach so, das«, winkt Sean ab. Dann sieht er wieder aus dem Fenster. Wir fahren an einer der Malvern-Weiden vorbei, auf der eine Herde wunderschöner Zuchtstuten grast.
    Gratton tippt mit den Fingern aufs Lenkrad. »Aber dann ist natürlich Peg auf ihn los.«
    Sean sieht wieder Gratton an. Er sagt nichts, sondern wartet bloß ab. Ich sehe, wie sein Blick Gratton die Worte förmlich aus dem Mund zieht und Sean dadurch die Oberhand in diesem Gespräch sichert, und nehme mir fest vor, mir diese Technik auch anzueignen.
    »Na ja, er hat behauptet, wenn er diesen roten Hengst haben könnte, den du immer reitest, hätte er auch viermal das Rennen gewonnen. Also hat Peg ihm mal erklärt, dass er keinen blassen Schimmer von Pferden hat, wenn er denkt, dass alles, was bei dem Rennen zählt, das Pferd ist, auf dem du sitzt. Sie war sowieso ein bisschen explosiv heute Morgen, liegt wohl daran, dass die Sonne heute im Osten aufgegangen ist.«
    Ich lache, was Gratton offenbar in Erinnerung ruft, dass ich da bin, denn er sagt: »Aber wer redet denn von Mutt Malvern als ernst zu nehmendem Gegner? Du wirst alle Hände voll zu tun haben mit unserer Puck hier.«
    Ich schwöre mir, Thomas Gratton später zu vergiften, ganz langsam. Am liebsten wäre ich in meinem Sitz versunken und hätte mich in Luft aufgelöst. Stattdessen aber werfe ich Sean einen grimmigen Blick zu und fordere ihn geradezu heraus, darauf einzugehen.
    Doch er tut es nicht. Er sieht mir bloß ins

Weitere Kostenlose Bücher