Rot wie das Meer
hatte
sein zukünftiges Grab zum Thema, und jetzt plaudere ich ihm gegenüber Familiengeheimnisse aus.
»Ja, das hat er jedenfalls gesagt«, entgegnet Brian.
Und uns hat er erst davon erzählt, als er es nicht mehr vermeiden konnte, würde ich am liebsten schreien, aber das wäre dann wirklich ein Familiengeheimnis, also presse ich entschlossen die Lippen aufeinander. Ich wünschte, ich wäre gar nicht hergekommen. Ich wünschte, ich wäre zu Hause. Ich wünschte, Brian Carroll würde mich nicht so ansehen von dieser Höhe aus, die immer noch anzuwachsen scheint. Ich verschränke die Arme und klemme die Hände unter meine Achseln. Wenn ich Gabe finde, verpasse ich ihm als Allererstes ein blaues Auge.
Brian Carroll scheint meine Qualen nicht zu bemerken und fügt hinzu: »Ich glaube, er hat was davon gesagt, dass er mit Tommy Falk und Beech Gratton zusammen gehen will.«
Ein winziger zorniger Laut entweicht mir. »Ja, klar! Alle wissen davon! Alle gehen aufs Festland! Gehst du vielleicht auch?«
»Nein«, erwidert Brian ernst. »Mein Ururgroßvater hat geholfen, diesen Kai zu bauen, und ich habe nicht vor, den hier zurückzulassen.«
Das klingt, als wäre er mit dem Kai verheiratet, und ich fühle mich plötzlich wütend und erschöpft.
»Na, komm schon«, sagt Brian, als wäre ihm nun doch endlich aufgefallen, wie rapide sich meine Laune verschlechtert hat. »Lass uns im Pub nachsehen. Da wollte ich nämlich hin. Vielleicht ist er ja da – ist jedenfalls ein beliebter Schlupfwinkel unter den Einheimischen. Und zumindest kommen wir so mal einen Moment aus der Kälte raus.«
Wieder drängeln wir uns durch die Leute bis zurück zum Black-Eyed Girl, einem Haus mit grüner Fassade und einladend offen stehenden Türen. Die Einrichtung kam mir schon immer zu fein für ein Pub vor, mit all dem polierten Holz, dem gesteppten Leder und der Messingausstattung. Der Gastraum ist makellos sauber und den
Großteil des Tages gnadenlos leer. Dann, wenn es dunkel wird und die Seeleute genug davon haben, nüchtern zu sein, füllt sich das Pub mit der Art von Geselligkeit, die hinaus auf die Straße torkelt und sich ins Hafenbecken übergibt.
Bis zu diesem Abend bin ich noch nie in dieser zweiten Version des Pubs gewesen. Das Gedränge dort ist ein völlig anderes als das draußen auf der Straße. Ich fühle mich wie in einer beklemmend engen, verrauchten, zu warmen Höhle voller Gegröle und Gelächter und schrecke zusammen, als ich in mehreren Gesprächen ringsum meinen Namen höre.
»He, ist das etwa unsere Kate Connolly?«, ruft ein Mann in der Nähe der Tür. Als mein Name fällt, wenden sich auch ein paar andere Köpfe in unsere Richtung. Es ist, als habe jeder von ihnen mehr als nur ein einziges Paar Augen.
»Kate Connolly!«, johlt ein anderer Mann von der Theke aus. Er schiebt einen Barhocker aus dem Weg und kommt zu uns herüber. Er hat eine Brust wie ein Fass, rotblonde Haare und riecht nach Knoblauch und Bier. »Wolltest mal Henne im Korb spielen, was?«
Brian greift mich beim Arm, nicht besonders sanft, und deutet mit der anderen Hand in den hinteren Teil des Pubs. Dann wendet er sich dem Mann zu. »Jaja, so sieht's aus. Sag mal, was meinst du zu der starken Flut, John, kriegen wir wohl Sturm?«
Ich erkenne einen Rettungsanker, wenn ich einen sehe, und drängele mich weiter in das Pub hinein, weg von den beiden. Ich suche den hinteren Teil des Gastraums ab – und tatsächlich, an einem der Tische in einer Nische sitzt Gabe. Über ein Bierglas gebeugt hockt er da und spreizt die Finger wie Spinnenbeine auf der Tischplatte, um etwas zu untermalen, was er gerade gesagt hat. Als er zu lachen anfängt, wirkt sein Gesicht schlaffer und gröber, als ich es in Erinnerung hatte. Wut durchzuckt mich.
Brian hält mir noch immer den Rücken frei und so schlängele ich mich durch den Qualm und bleibe neben Gabes Stuhl stehen. Ich warte darauf, dass er mich bemerkt; Tommy Falk – sein dreckiger
Komplize –, der ihm gegenübersitzt, hat mich bereits gesehen und lächelt sein hübsches Lächeln. Aber Gabe gestikuliert weiter.
»Gabe«, sage ich mühsam beherrscht und komme mir vor wie ein kleines Kind, das seinen Daddy am Ärmel zupft und ihn beim Zeitunglesen stört.
Er dreht sich zu mir um. Ich weiß nicht, ob sein Blick schuldbewusst ist. Dann sehe ich genauer hin und bin mir sicher, dass er es nicht ist. Er sagt: »Oh, Puck.« Sonst nichts.
»Ja, oh, Puck.«
»Ich kann's immer noch nicht glauben, dass du beim
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