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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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sein zu können.
    In dem Moment sagt Sean: »Ich will wissen, welches von ihnen Angst vor dem Wasser hat. Welches eine gerade Bahn läuft. Welches Corr in Stücke reißen würde, sobald ich es überhole. Wer sein Pferd
    nicht unter Kontrolle hat. Wie sie am liebsten laufen. Wer auf dem linken Vorderbein lahmt. Wie der Strand dieses Jahr beschaffen ist. Ich will wissen, wie das Rennen aussehen wird, bevor es stattgefunden hat.«
    Unten beginnt die gescheckte Stute zu schreien, so laut, dass wir es selbst hier oben auf der Klippe hören. Ich kann kaum glauben, dass ich mich noch gestern Abend geärgert habe, sie nicht genommen zu haben, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Ich folge Seans Blick.
    »Und«, füge ich hinzu, »du denkst, dass man sich vor der gescheckten Stute in Acht nehmen sollte.«
    »Das gilt für mich genauso wie für dich.«
    In diesem Augenblick macht die Stute einen Satz nach vorn und prescht parallel zur schäumenden Brandung über den Sand. In der nächsten Sekunde hält sie scharf auf das Wasser zu, nur um gleich darauf wieder genauso schnell in Richtung der Klippe zu galoppieren. Sie ist so schnell, dass sie das Ende der zum Reiten geeigneten Bahn erreicht hat, bevor ich auch nur an meine Stoppuhr denken konnte.
    »Dein Bruder geht aufs Festland«, bemerkt Sean.
    Einen langen Moment halte ich den Atem in meinem Mund, bevor ich erwidere: »Gleich nach dem Rennen.« Sinnlos, ein Geheimnis daraus zu machen; es weiß sowieso schon jeder. Außerdem hat Sean mich bereits im Lastwagen mit Gratton darüber reden hören.
    »Und du gehst nicht mit.«
    Ich will gerade antworten: Er hat mich nicht gefragt, als mir klar wird, dass das nicht der wahre Grund ist. Ich gehe nicht mit ihm, weil das hier mein Zuhause ist und kein anderer Ort auf der Welt. »Nein.«
    »Warum nicht?«
    Die Frage macht mich wütend. »Warum stellt es eigentlich jeder als ganz normal hin, dass man irgendwann weggeht?«, will ich wissen. »Fragt dich vielleicht auch ständig irgendwer, warum du hierbleibst, Sean Kendrick?«
    »Ziemlich oft sogar.«
    »Und was hält dich hier?«
    »Der Himmel und der Sand und die See und Corr.«
    Es ist eine schöne Antwort, die mich vollkommen überrascht. Bis gerade war mir gar nicht bewusst, dass diese Unterhaltung ernst gemeint ist, sonst hätte ich ihm auf seine Frage eine andere Antwort gegeben. Außerdem bin ich überrascht, dass er auch seinen Hengst mit aufgezählt hat. Ich frage mich, ob die Leute, wenn ich über Dove rede, genauso sehr heraushören, wie viel sie mir bedeutet, wie aus Seans Worten seine Liebe zu Corr spricht. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, ein Ungeheuer zu lieben, egal, wie schön es auch sein mag. Ich denke an das, was der alte Mann in der Fleischerei zu mir gesagt hat, darüber, dass Sean Kendrick einen Fuß an Land hat und einen im Meer. Aber vielleicht braucht man auch einen Fuß im Meer, um über die Blutgier eines solchen Pferdes hinwegsehen zu können.
    »Es hat etwas mit Wollen zu tun«, sage ich, nachdem ich eine Weile darüber nachgedacht habe. »Die Touristen scheinen immer alles Mögliche zu wollen. Auf Thisby geht es irgendwie weniger ums Wollen, sondern mehr ums Sein.« Nachdem ich das gesagt habe, frage ich mich, ob er nun denken wird, dass ich keinerlei Ziele oder Ehrgeiz besitze. Im Vergleich zu ihm selbst muss es wahrscheinlich so wirken. Es ist, als läge ein Fluch auf mir, der mich dazu zwingt, ihm haargenau zu sagen, was ich denke, ohne auch nur im Geringsten einschätzen zu können, was er davon halten könnte.
    Er sagt gar nichts. Wir beobachten, wie unter uns die Pferde galoppieren und durcheinanderlaufen. Schließlich erwidert er, ohne mich anzusehen: »Sie werden trotzdem versuchen, dich nicht an den Strand zu lassen. Das gestern Abend war noch nicht das Ende.«
    »Ich verstehe nur einfach nicht, warum.«
    »Wenn es bei dem Rennen darum geht, den anderen etwas zu beweisen, dann sind die Leute, die du schlägst, genauso wichtig wie das Pferd, das du reitest.« Er wendet den Blick nicht von der gescheckten Stute.
    »Für dich geht es aber nicht darum.«
    Sean stemmt sich auf die Füße hoch und da steht er nun. Ich betrachte seine schmutzigen Stiefel. Jetzt bin ich wirklich zu weit gegangen, denke ich.
    Er sagt: »Ich habe mich nie besonders für andere Leute interessiert, Kate Connolly. Puck Connolly.«
    Ich lege den Kopf in den Nacken, um zu ihm hochzusehen. Die Decke rutscht mir von den Schultern und auch meine Mütze löst sich im Wind. Ich

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