Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
kann seinen Gesichtsausdruck nicht deuten – seine schmalen Augen machen es so gut wie unmöglich. »Und jetzt?«, frage ich.
    Kendrick hebt die Hände, um den Kragen seiner Jacke hochzuschlagen. Er lächelt nicht, aber er blickt auch nicht so finster drein wie sonst. »Danke für den Kuchen.«
    Dann marschiert er durch das Gras davon und lässt mich allein. Mein Bleistift schwebt kurz über dem Papier. Ich habe das Gefühl, etwas sehr Wichtiges über das bevorstehende Rennen gelernt zu haben, aber ich habe keine Ahnung, wie ich es aufschreiben soll.

35
    Sean Als ich zurück auf den Hof komme, suche ich als Erstes nach Benjamin Malvern. Wieder überfällt mich dieses seltsame Gefühl – diese schwerelose Unruhe, die ich schon während des Trainings mit Fundamental verspürt habe und nach meiner ersten Begegnung mit Puck. Die ich verspürt habe, nachdem die Pferdegöttin mir gesagt hat, ich hätte einen weiteren Wunsch frei. Mir war nie bewusst, wie beständig diese unbeständige Insel doch war, bis sie sich in etwas verwandelt hat, was mir vollkommen neu ist.
    Nach einer Weile entdecke ich Malvern mit zwei Männern an der Galoppbahn. Er hat das Kinn leicht nach vorn geschoben, wie er es immer tut, wenn er mit Kunden zu tun hat, so als könne er sie dadurch zum Kauf drängen. Die anderen beiden Männer stehen mit eingezogenem Kopf da; sie wirken verfroren und durchnässt, wie Katzen, die man draußen im Regen gelassen hat.
    Das Erste, was mir beim Näherkommen auffällt, ist das Pferd, das sie sich ansehen: Malvern Mettle, eine vielversprechende junge Stute, sowohl im Hinblick auf Schnelligkeit als auch Charakter. Für gewöhnlich ist sie bereit, mehr zu geben, als sie kann, was immer besser ist als das Gegenteil.
    Als Nächstes fällt mir auf, dass einer der Kunden George Holly ist. Als er mich bemerkt, dämmert Verständnis auf seinem Gesicht. Er sagt etwas zu dem anderen Kunden und dann zu Malvern. Malvern nickt, er lächelt, sieht aber gleichzeitig aus, als wäre er unglücklich darüber. Er deutet zurück zum Haus und Holly schiebt den anderen Kunden in die entsprechende Richtung.
    Als wir aneinander vorbeilaufen, streckt Holly mir kurz die Hand entgegen und sagt: »Sean Kendrick, richtig? Einen guten Morgen wünsche ich Ihnen.«
    Ich lasse zu, dass er mir die Hand schüttelt, als wären wir uns nie zuvor begegnet, und hebe bloß eine Augenbraue über seine Verschlagenheit. Dann sind er und der andere Kunde verschwunden und ich bleibe mit Malvern allein zurück.
    Ich stelle mich neben ihn an das Geländer der Galoppbahn. Er blickt stirnrunzelnd zu Mettle hinüber. Einer der Stallburschen reitet sie und sie ist unkonzentriert und faul. Mettle hat ein auffallend hässliches Gesicht – Hässlichkeit und Grobschlächtigkeit sind Merkmale, die bei Vollblütern aus irgendeinem Grund mit der Schnelligkeit einherzugehen scheinen – und im Moment zieht sie beim Galoppieren auch noch ihre Oberlippe hoch wie ein Maultier. Doch der Stallbursche fordert sie auch nicht richtig; ich bin nicht ganz sicher, ob er nicht weiß, wozu sie normalerweise fähig ist, oder ob es ihn nicht interessiert. Was auch immer der Grund sein mag, für Mettle ist das Ganze jedenfalls nicht mehr als ein geruhsamer Spaziergang.
    Schließlich fragt Malvern: »Mr Kendrick, ist dieses Pferd immer so?«
    Ich überlege kurz, was ich antworten soll. »Sie stammt von Malvern Penny and Pound und Rostraver ab.« Penny and Pound ist eine von Malverns Lieblingszuchtstuten und es geht das Gerücht, dass Rostraver auf dem Festland als so gutes Rennpferd gehandelt wird, dass niemand mehr gegen ihn antreten will.
    »Das Blut kommt nicht immer durch«, erwidert Malvern. Er spuckt auf den Boden und sieht wieder zu ihr hinüber.
    »Bei ihr schon.«
    »Aber vor den Kunden treibt sie gern ein paar Späßchen, wie?«
    Ich kann nur an das denken, was ich ihn fragen will, aber dies ist nicht der richtige Augenblick. Statt zu antworten, greife ich nach dem Geländer und lasse mich darunter hindurchgleiten, dann laufe ich über die Bahn auf den Stallburschen zu – schon wieder ein neuer,
    keiner findet sich lange mit den Bedienstetenquartieren und der Bezahlung ab –, der Mettle nun im Schritt im Kreis gehen lässt, um sie abzureiten. Ich trete zu Mettle und greife nach ihrem Zügel.
    »He«, sagt der Stallbursche überrascht zu mir. Er ist genauso jung wie ich. Ich glaube, sein Name ist Barnes, aber ich bin nicht ganz sicher. Vielleicht war Barnes auch der davor.

Weitere Kostenlose Bücher