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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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klein beigegeben hat. Ich denke an Hollys Behauptung, es müsse etwas geben, was Malvern noch dringender will als Corr. Ich denke an die seltsame Stimme der Pferdegöttin: Sprich einen neuen Wunsch aus. Ich denke sogar an Mutt Malvern, der auf der Scheckstute alles für ein bisschen Ruhm riskiert. Bis heute bin ich immer davon ausgegangen, dass mein ganzes Leben darin besteht, Risiken einzugehen, dass ich jedes Jahr aufs Neue am Strand mein Leben aufs Spiel gesetzt habe. In diesem Moment aber wird mir klar, dass ich niemals die eine Sache riskiert habe, bei der ich wirklich Angst habe, sie zu verlieren.
    Ich will das nicht tun.
    Ich sage ganz leise: »Dann, Mr Malvern, kündige ich.«
    Er dreht mir den Kopf zu. Eine seiner Augenbrauen ist hochgezogen. »Wie bitte?«
    »Ich kündige. Heute. Suchen Sie sich einen neuen Trainer. Suchen Sie sich jemand anderen, der für Sie das Rennen reitet.«
    Die winzige Andeutung eines Lächelns hebt seine Mundwinkel. Ich erkenne den Ausdruck: Verachtung. »Versuchen Sie etwa, mich zu erpressen?«
    »Nennen Sie es, wie Sie wollen«, entgegne ich. »Verkaufen Sie mir Corr und ich reite ein letztes Mal für Sie das Rennen und trainiere weiter Ihre Pferde.«
    Auf der Bahn läuft nun ein schwer atmender dunkelbrauner Wallach. Er ist noch nicht in Rennform. Malvern reibt sich wieder mit der Hand über die Lippen, was mich aus irgendeinem Grund an Mettle erinnert.
    »Sie überschätzen Ihre Bedeutung für diesen Hof, Mr Kendrick.«
    Ich lenke nicht ein. Ich stehe im Meer, spüre, wie die Strömung an meinen Beinen zieht, aber ich lasse nicht zu, dass sie mich mit sich reißt.
    »Glauben Sie etwa, ich finde keinen anderen, der Ihren Hengst reiten würde?«, fragt Malvern. Er wartet darauf, dass ich antworte, und als ich es nicht tue, redet er weiter. »Mir würden auf Anhieb zwanzig Männer einfallen, die ihre rechte Hand dafür geben würden, auf den Rücken dieses Pferds steigen zu dürfen.«
    Das Bild zersplittert in meinem Herzen und ich bin mir sicher, dass er genau das bezweckt hat.
    Als ich noch immer nichts sage, fügt er hinzu: »Gut, so viel dazu. Räumen Sie bitte bis Ende der Woche Ihr Quartier.«
    Noch nie in meinem Leben musste ich so standhaft sein. Noch nie musste ich mich so kalt und unerschrocken geben. Ich bekomme keine Luft, aber ich zwinge mich dazu, die Hand auszustrecken.
    »Versuchen Sie nicht, mich in diesem Spiel zu schlagen«, sagt Malvern, ohne mich anzusehen. »Ich habe es erfunden.«
    Das Gespräch ist zu Ende.
    Vielleicht werde ich Corr nie wieder reiten.
    Ohne ihn weiß ich nicht, wer ich bin.

36
    Puck Die meiste Zeit traue ich Dove mehr als irgendjemand anderem auf der Welt, aber auch sie hat ihre schwierigen Momente. Sie mag es nicht, bis über die Knie ins Wasser zu gehen, was auf This-by vermutlich eher Weisheit ist als Feigheit. Als Fohlen hatte sie mal eine unangenehme Begegnung mit einem Schaflaster und hat seither nie wieder Frieden mit diesen Vehikeln geschlossen. Außerdem schlägt ihr alles auf die Stimmung, was man nur im Entferntesten als Wetter bezeichnen kann. Aber diese kleinen Eigenheiten kann ich ihr ohne Probleme nachsehen, denn zum Glück kommt es nicht allzu oft vor, dass wir einen Fluss durchwaten, ein Wettrennen mit einem Schaflaster laufen oder während eines Unwetters nach Skarmouth reiten müssen.
    Doch das, was an diesem Nachmittag auf den Klippen herrscht, ist definitiv Wetter. Sturmböen peitschen beinahe waagerecht über das Gras, das unter den Wolken, die sich über unseren Köpfen türmen, dunkelgrün wirkt. Als der Gegenwind Dove so stark ins Gesicht weht, dass er ihre Schritte verlangsamt, zittert sie und scheut. Die Luft stinkt nach Capaill Uisce. Keine von uns ist an diesem beinahe abendlich dunklen Nachmittag gern hier.
    Aber ich weiß, dass wir bleiben müssen. Falls es am Tag des Rennens regnen oder stürmisch sein sollte, muss Dove abgehärtet sein. Und nicht das verängstigte, kaum zu kontrollierende Tier, das sie jetzt ist.
    »Ganz ruhig«, sage ich zu ihr, aber ihre Ohren zucken wie wild und hören alles, nur nicht meine Stimme.
    Eine heulende Bö lässt sie gefährlich nah an den Rand der Klippe tänzeln. Einen Moment lang starre ich an der Stelle, wo das Klippengras über die Kante wächst, in den Abgrund, auf den wild schäumenden Ozean weit unter uns. Die bloße Möglichkeit verursacht mir ein Schwindelgefühl, losgelöst von Zeit und Raum. Dann reiße ich am rechten Zügel und treibe sie an.
    Dove schießt weg

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