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Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)

Titel: Rot wie eine Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anilda Ibrahimi
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setzt ihre Totenklage ungestört fort, aber als sie schließlich allein ist, fallen ihr die Worte von Imam Ali wieder ein.
    Nach der vierzigtägigen Trauerzeit kommt er sie besuchen. Sie plaudern ein wenig, aber man merkt, dass sie sich unwohl fühlt.
    »In den letzten Wochen habe ich so oft an deinen roten Mund gedacht«, sagt er.
    »Du hast schlecht daran getan«, antwortet sie.
    »Wir werden sehen«, beendet Imam Ali das Gespräch.
    Ein paar Tage später sind sie bereits ein Liebespaar.
    Er kommt am Abend, wenn sie die Kinder zu Bett bringt. Er nimmt sie auf dem Heuboden im Stall und im Sommer zwischen den noch jungen Maispflanzen. Manchmal sogar am Tag, auf den sonnenbeschienenen Felsen am Fluss oder unter den Bäumen, die im Wind rauschen.
    Ihre Leidenschaft dauert bis zu dem Tag, an dem die Verwandten des verstorbenen Ehemanns kommen.
    »Im Dorf wird geredet«, sagen sie. »Vielleicht ist es besser, wir nehmen deine Kinder, dann kannst du in Ruhe die Kurva spielen.«
    »Meinen Kindern fehlt es an nichts«, antwortet sie, »sie bleiben bei mir.«
    »Ob du sie freiwillig rausrückst oder nicht, wir werden sie mitnehmen«, bekräftigen sie. »Bei einer Mutter, die sich mit dem Imam einlässt, kaum dass der Ehemann unter der Erde liegt, wird niemand um die Hand der Töchter anhalten.«
    Die Schwager setzen sich, sie haben nicht vor, ohne die Neffen und Nichten zu gehen.
    »Böse Zungen«, verteidigt sie sich. »Nichts davon ist wahr.«
    »Stimmt es etwa nicht, dass der Imam dich zu jeder Tages- und Nachtzeit besuchen kommt?«
    »Er kommt nicht wegen mir«, sagt sie.
    »Ja, ja, es ist wegen der guten Seele unseres Bruders. Er vögelt die Frau, damit der Ärmste im Jenseits seine Ruhe hat«, maßt sich einer an zu sagen.
    »Er singt ihm die Suren vor der Möse der Witwe«, setzt ein anderer eins drauf.
    Sie errötet. Die meinen es ernst. Sie merkt es an ihrer ordinären Ausdrucksweise. Sonst würden sie sich nicht erlauben, ihr gegenüber solche Worte zu verwenden. Vor der Mutter ihrer Nichten und Neffen.
    Sie muss einen Weg finden, um die Kinder zu retten.
    »Er ist in Neda verliebt. Auf sie hat er’s abgesehen«, sagt sie.
    »Gut«, antworten sie. »Am Freitag wird Hochzeit gefeiert. Sag deinem Imam, dass mit uns nicht zu spaßen ist.«
    Die Männer gehen. Sie weint. »Verzeih mir, meine Tochter, verzeih mir. Was habe ich dir angetan? Die zweite Frau eines verheirateten Mannes, ich habe dein Leben zerstört.«
    Sie weint und weint. Dann erhebt sie sich, wäscht sich und macht sich zurecht. Am helllichten Tag klopft sie beim Imam an die Tür. Er sitzt mit Frau und Kindern bei Tisch.
    »Ich muss mit euch sprechen«, sagt sie.
    »Sprich«, antwortet die Frau, die seit Monaten das Gerede im Dorf hört. »Reichen euch die Gespräche nicht, die ihr im Gebüsch führt?«
    »Nicht vor ihnen«, erwidert die Witwe.
    Der Imam gibt den Kindern ein Zeichen mit dem Kopf, die murrend den Raum verlassen. Sie setzt sich, sieht ihm in die Augen und verkündet vor seiner Frau:
    »Am Freitag wirst du meine Tochter Neda heiraten. Die Verwandten meines Mannes können dich umbringen. Die Familienehre muss wiederhergestellt werden.«
    »Ich bin schon verheiratet«, sagt er.
    »Daran hättest du denken müssen, bevor du gewisse Dinge tatest«, erwidert sie, ohne ihn anzusehen. »Außerdem bist du nicht der Erste und wirst nicht der Letzte sein, der zwei Frauen im Haus hat.«
    »Und ich werde gar nicht gefragt?«, mischt sich Adile ein.
    »Hat dich dein Mann etwa gefragt, als er loszog, um in meinem Haus die Hosen runterzulassen?«, antwortet die Witwe im Gehen.
    Adile verschlägt es die Sprache. Sie hat gewusst, dass sich ihr Mann hier und da vergnügt, aber doch nicht mit einem so jungen Mädchen. Sie denkt ebenso wie die Witwe, dass sie keinerlei Gefahr für sie darstellen wird. Im Gegenteil, sie wird ihr das Leben erleichtern, sie von gewissen Pflichten befreien. Stattdessen gerät sie nur umso mehr in Schwierigkeiten.
    Am Freitag wird, wie beschlossen, die Hochzeit gefeiert. Das Mädchen erregt sofort Adiles Mitleid. Sie ist verloren, die Ärmste, und sie scheint nicht gerade vor Leidenschaft zu brennen.
    Am nächsten Morgen betritt die nunmehr erste Ehefrau das Schlafzimmer der frisch Vermählten und sieht die zweite Frau das Laken wechseln. Es ist blutbefleckt.
    Sie wird diesem Mädchen eine Mutter sein, beschließt Adile. Vielleicht weil sie spürt, dass sie ein gemeinsames Schicksal verbindet: die eine von ihrem Mann verraten, die

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