Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
und Mehl bestanden, sonst geschmeckt?
Es machte ihr Spaß, ihm das Frühstück ans Bett zu bringen, und danach schloss sie erneut die Tür ab. Sie war eine schamlose Person, die vor nichts zurückschreckte, sagten die Schwägerinnen, nicht einmal die verächtlichen Blicke der Schwiegermutter interessierten sie. Die Schwiegermutter sagte, dass Esma mit ihrer ganzen Schminke und all ihren Tricks ihren Sohn verhext, ihn »zum Esel« gemacht habe. Als Oberst gab ihr Sohn einem ganzen Bataillon Befehle, aber wenn die Schwiegertochter die Beine breit machte, verschlug’s ihm die Sprache. Hatte sie etwa Gold zwischen den Beinen?
Eines schönen Tages, als der Oberst im Begriff ist, auf einen kurzen Schwatz unter Männern bei Osman vorbeizuschauen, ist Esmas glückliches Leben ebenfalls im Begriff, zu Ende zu gehen. Esma weiß es noch nicht, und sie hat es auch nicht im Kaffeesatz gelesen.
Der Oberst verlässt das Haus und bemerkt zunächst nichts Besonderes. Der Weg zur Kneipe ist mit Zetteln übersät, aber das ist ganz normal. Während des Krieges haben die Partisanen auf diese Weise Nachrichten unters Volk gebracht, und danach behielt man diese Form der Kommunikation bei. Er denkt, dass man irgendeine Reform beschlossen hat, und bückt sich nicht einmal, um einen aufzuheben. Ihm fällt auf, dass ihn alle im Dorf auf sonderbare Art grüßen, aber er achtet nicht weiter drauf. Es wird daran liegen, dass er aus der Hauptstadt kommt, denkt er.
Als er die Kneipe erreicht, empfangen ihn dieselben Blicke der Anwesenden, bedauernde, fast mitleidige Blicke.
Was die Leute heute Morgen alle haben?, denkt er.
Er bestellt einen Kaffee und einen Raki, dann fragt er die anderen nach Neuigkeiten im Dorf. Einer seiner Kindheitsfreunde erhebt sich und reicht ihm wortlos eines jener Briefchen, die den Weg zur Kneipe pflastern.
Lieber Oberst,
zwar ist der Ehemann der Letzte, der es erfährt, aber als anständige und rechtschaffene Leute fühlen wir uns verpflichtet, Euch mitzuteilen, dass sich Eure Frau nicht so verhält, wie es sich für eine ehrbare Frau gehört. Oberst, Ihr habt im Krieg für uns alle gekämpft, und nun steht Ihr dort oben, an der Spitze, und arbeitet Tag und Nacht für die Zukunft unseres Landes. Euch darüber in Kenntnis zu setzen, dass Eure Frau Euch hintergeht, ist das Mindeste, was unser Dorf tun kann. Ihr verdient es nicht, Oberst, dass man Euch Hörner aufsetzt. Ganz zu schweigen von Euren armen Töchtern. Was soll aus ihnen werden mit einer solchen Mutter?
Der Oberst begreift den Inhalt dieses absurden Briefes nicht, er ist schockiert. Was? Seine wunderschöne Esma setzt ihm Hörner auf? Sie, in Angelegenheiten der Kurvëria verwickelt? Er kann sich alles Mögliche vorstellen, aber nicht, dass sie ihn hintergeht. Ausgeschlossen.
Unter den Blicken des Dorfes geht er nach Hause. Alle haben den Brief gelesen und warten nun darauf, die Schüsse knallen zu hören. Natürlich wird er sie umbringen, sagen sie, dazu hat der Oberst genug Mumm.
Zu Hause angekommen findet er Esma im Hof, wo sie sich vollkommen ahnungslos das lange blonde Haar kämmt. Er spürt einen Stich im Herzen. Was soll er tun, was soll er ihr sagen? Der Punkt ist, dass er nicht glaubt, was in dem Brief steht. Aber er weiß auch, dass es egal ist, was er glaubt. Die Sache ist an der Öffentlichkeit, und man erwartet eine heftige Reaktion von ihm.
Merkwürdigerweise haben die Schwägerinnen strahlende Gesichter. Geradezu freudig erledigen sie ihre immer gleichen Arbeiten. Die Mutter trinkt die dritte Tasse Kaffee ohne Zucker. Was gibt es Bittereres, als das Schicksal ihres Sohnes?
Der Oberst nimmt Esma bei der Hand und führt sie in ihr Zimmer. Ganz sanft, ganz anders, als es die Schwägerinnen erwartet haben. Er bleibt immer ein Gentleman, im Guten wie im Schlechten. Als sie im Zimmer sind, hält er ihr den Brief unter die Nase. Sie lächelt, ein sanftes, zärtliches Lächeln, ein Lächeln, das er für immer in sich bewahren wird.
»Du weißt, dass ich nicht lesen kann«, hört er Esmas vibrierende Stimme. »Aber ich verspreche dir, dass ich es lernen werde, sobald wir in der Hauptstadt sind, ich werde die Alphabetisierungskurse besuchen …«
Arme Esma, sie ahnt nicht, was in dem Brief steht.
Es ist müßig, sie wegen der Vorwürfe zur Rede zu stellen. Aus ihrem Gesicht, aus ihrem Lächeln, aus jeder ihrer Bewegungen spricht die bedingungslose Liebe zu ihrem Mann.
Dann schließt sich der Oberst mit seiner Mutter im Zimmer ein. Als er
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