Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
andere von der Mutter. Und sie denkt, dass der zweite Verrat sehr viel schlimmer ist.
Nie ein böses Wort zwischen den beiden Frauen, aber die erste duldet es nicht, dass die Mutter der zweiten zu Besuch kommt.
»Dein Herz trügt dich«, sagt Adile.
»Sie ist die einzige Mutter, die ich habe«, antwortet Neda.
Die zweite Frau stirbt bei der sechsten Geburt. Ihre Mutter folgt ihr wenige Wochen später. Das Kleine überlebt, und die erste Frau liebt es wie ihr eigenes. Sie wird Mutter von dreizehn Kindern. Ihr Name steht auf allen Geburtsurkunden.
»Warum kommst du so spät?«, fragt Adile ihren Mann eines Tages.
»Ich habe Suren gesungen.«
»Schon früher wollte niemand deine Suren hören. Erzähl mir also nicht, dass sich jetzt, wo die Religion verboten ist, jemand dafür interessiert«, sagt sie.
»Ich war auf dem Friedhof«, antwortet er, »um meine Frau zu besuchen.«
»Und wahrscheinlich auch die Schwiegermutter«, spottet sie.
Aber ihm ist es egal, was sie sagt. Er ist es gewohnt. Die Geschichte mit den Suren für die verstorbene Frau ist allerdings wahr. Er geht oft auf den Friedhof. Er fühlt sich schuldig gegenüber diesem Mädchen, das seine Frau wurde, um den Schaden der Mutter zu begleichen.
An dem Tag, an dem sie zufällig den Schädel entdeckt, sagt Adile nichts. Es interessiert sie nicht.
Aber eines Nachmittags sieht sie ihren Mann mit dem Schädel in der Hand auf der Truhe sitzen.
»Es ist wohl dein Schicksal, keinen Frieden zu finden, was?«, sagt Imam Ali. »Vielleicht warst du glücklich im Leben und musst nun dafür bezahlen. Das Glück ist teuer, sehr teuer, und nur wer Mut hat, ist bereit, das in Kauf zu nehmen. Deshalb gibt es in der Welt so viele unglückliche Menschen, so müssen sie später nicht dafür bezahlen.«
Adile rührt sich nicht. Er spricht mit dem Schädel. Entweder er ist verrückt, oder der Schädel gehört jemandem, den er kennt. Einer ihm lieben Person. Der ersten Frau! Nein, er spricht von Mut, natürlich … es ist die Schwiegermutter. Wenn die nicht mutig war … Sie hat sich sogar ihrer Tochter entledigt, um die eigene Haut zu retten. Auch wenn sie immer behauptete, es wegen der anderen Kinder getan zu haben, damit sie nicht zu Waisen werden. Diese Kurva lässt ihren Mann selbst als Tote noch nicht in Frieden.
Am nächsten Tag, kaum dass er aus dem Haus ist, öffnet Adile die Truhe und findet den Schädel. Sie heizt den Ofen an und wirft ihn ohne zu zögern hinein.
»Das hätte ich gern mit dir gemacht, solange du noch am Leben warst, Kurva «, sagt sie. »Leider verspürst du keine Schmerzen mehr, aber es ist auch so gut. Dein Körper wird sich für immer im Grab umdrehen und nach dem fehlenden Schädel suchen. Du wirst niemals zur Ruhe kommen!«
Dann nimmt sie ihr gewohntes Leben wieder auf, ohne weiter daran zu denken.
Einige Zeit später öffnet ihr Mann die Truhe. Da er den Schädel nicht findet, fragt er seine Frau.
»Deine Kurva hab ich verbrannt«, sagt sie mit einem Lächeln. »Ich hätte sie lebendig verbrennen sollen, aber ich hatte keinen Mut dazu. Jetzt bin ich glücklich.«
»Armer Schädel«, erwidert er. »Ich hatte gesagt, dass es noch nicht vorbei ist. Er musste noch zahlen.«
»Schon bezahlt«, lacht sie, ohne zu wissen, dass sich die Worte des Ehemanns auf etwas anderes beziehen. Er erklärt es ihr nicht. Dieses eine Mal will er ihr Glück nicht zerstören.
Vierzehn
Um die Mittagszeit bringt Omer seiner Frau einen jener Zettel, die im Dorf verteilt wurden. Saba hatte nie geglaubt, dass diese Geschichte so ausgehen könnte. Sie liest den Text und beginnt zu lächeln:
»Esma«, sagt sie, »meine Schwester Esma soll für die Saufköpfe bei Osman die Kurva spielen? Arme Teufel, nach all dem Raki, den sie runterkippen, sehen sie nicht mal mehr den Weg nach Hause, geschweige denn die Reize meiner Schwester!«
»Gewisse Dinge sieht man mit Raki klarer«, sagt Omer.
Er muss es ja schließlich wissen.
»Mag sein, dass man sie klarer sieht«, erwidert Saba, »aber nicht bei einer wie meiner Schwester. Jedes Kind weiß, wie verliebt sie in ihren Oberst ist. Außerdem hat unsere Familie nichts mit der Kurvëria zu schaffen. In unserer Familie gab es viele Frauen, die nicht in ihre Männer verliebt waren, trotzdem ist keine von ihnen losgezogen, um sich mit den Säufern bei Osman zu amüsieren. Aber was erzähl ich dir. Das weißt du schließlich selbst nur zu genau …«
Am Abend, als sie wie immer das große Holztor zur Straße
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