Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
fährt Bedena die Nachbarin an.
»Er verdient sie alle, der arme Kerl, er schuftet wie ein Esel.« Tana lacht über ihren eigenen Scherz. »Wenn er weiter so arbeitet, kann er bald darum ersuchen, Kommunist zu werden. Das hat in unserer Familie bisher noch keiner geschafft, haha.« Dann verschwindet sie.
Ganz klar, denkt Bedena, Tana macht sich einen Spaß daraus, den Esel so herauszuputzen und dann im Dorf spazieren zu führen.
Nach ein paar Tagen scheint der Vorfall vergessen. Der Parteisekretär hat nichts gesagt, obwohl er alles erfahren hat. Meistens misst er diesen Dingen keine Bedeutung bei, er ist ein schweigsamer Mensch, der die Leute lieber nach ihren Leistungen beurteilt und nicht viel auf Gerede gibt. Vielleicht fand er Tanas Scherz sogar selber lustig.
Bedena wartet ein paar Tage, dann bricht es während einer Versammlung aus ihr heraus. Parteiversammlungen sind Massenveranstaltungen, manchmal hat die Partei eben keine Geheimnisse. Aber nur manchmal.
Nachdem der Parteisekretär seine Eröffnungsrede gehalten hat, erhebt sich Bedena und meldet einen schweren Vorfall im Dorf, einen Vorfall, der die Feinde der Revolution, Imperialisten, Kapitalisten und so weiter erfreuen würde. Wie es scheint, gerieten all diese Gruppen, die Bedena aufzählt und die überall in der Welt verstreut sind, kaum dass sie erfuhren, dass Tana, die Frau eines Kulaken, ihrem Esel in einem verlassenen Gebirge die Auszeichnungen der Partei um den Hals gehängt hat, aus dem Häuschen. Denn es scheint klar, dass die ersten Anzeichen dafür, dass der Kommunismus in diesem Land in Gefahr ist, von Tana und ihrem Esel ausgehen …
So trägt es Bedena vor. Sie fordert harte Maßnahmen, damit sich derartige Angriffe auf die Partei, auf das Land und das gesamte sozialistische Gebiet nicht wiederholen.
Tana wird bestraft. Saba nimmt an der Versammlung teil, dann geht sie mit gesenktem Kopf hinaus. Sie schämt sich für Bedena. Sie hat in ihrem Leben schon viel durchgemacht, aber noch nie hat sie sich so für jemanden geschämt. Wenn ihr etwas widerfährt, nimmt sie es hin und denkt sich, dass es das Schicksal oder Allah oder wer zum Teufel auch immer ist, der alles entscheidet. Aber Bedenas Geschichten haben oft nichts mit dem Schicksal zu tun. Und schon gar nicht mit Allah.
Fünfzehn
Meliha hatte seit Tagen, seit Esma von ihrem Mann verstoßen wurde, nichts mehr von Saba gehört. Saba war vorbeigekommen, um nach der Schwester zu sehen. Sie hatte lange mit ihr gesprochen. Über die Liebe, die man nicht so von einem Tag auf den anderen verliert, über die Töchter, die sie noch brauchten, und sei es nur, um sich morgens von ihr die Zöpfe hochstecken zu lassen, über das Schicksal, das ohne Vorwarnung gibt und nimmt, und vor allem über das Glück, das sie gehabt hatte. Konnte sie sich nicht glücklich schätzen, wahre Liebe erlebt zu haben? Manch eine wartet ihr gesamtes Leben vergeblich darauf. Bei der Verteilung gibt es bekanntermaßen keine klaren Regeln. Sie hatte ihren Teil bekommen, auch damit konnte sie überleben.
Danach hatte sich Saba nicht mehr blicken lassen. Jeder hatte das Recht, seinem Schmerz bis ins Innerste nachzuspüren. Sie würde die Schwester in aller Ruhe wieder besuchen kommen.
Es war jedoch kaum eine Woche vergangen, als die Mutter sie zu sich rufen ließ. Nicht um die arme Schwester zu trösten. Esma bemerkte Sabas Anwesenheit nicht einmal: Vor ihr lag noch ein langer Weg des Leidens, ohne die Hoffnung, jemals eine andere Richtung einschlagen zu können.
Meliha wartete in ihrem Sessel auf Saba. Die Weinrebe über ihrem Kopf, die der Jahreszeit entsprechend ihre Blätter verloren hatte, passte zu ihrem eingefallenen Gesicht. Ihr Blick war wie immer in die Ferne gerichtet. Zum Tal hin. Dort unten lag alles, was das Leben gab und der Tod bewahrte.
Meliha beginnt zu sprechen. Kein Wort über Esma. Was gibt es darüber noch zu sagen? Beide sind mit dem Schmerz in gewisser Weise vertraut, sie wissen, dass Worte nichts nutzen.
»Ich werde langsam müde«, sagt Meliha.
»Das liegt an der Jahreszeit, das alte Blut wartet darauf, durch neues ersetzt zu werden. Aber dazu muss erst der Frühling kommen«, antwortet Saba.
»Ich hab keine Zeit, der Frühling kommt zu spät für mich. Ich hab dich zu mir gerufen, weil es Dinge gibt, die ich nicht mehr selbst erledigen kann. Ich bin nicht mehr die Alte von früher. Du musst mir helfen.«
Saba hört ihr schweigend zu. Der Ton der Mutter lässt erkennen, dass es
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