Rot wie eine Braut: Roman (German Edition)
Mysafir schwitzt.
Man hört das Geräusch der Klingen, die das Fleisch durchschneiden. Wie Stoff, nur ein bisschen fester. Mysafir schreit auf, als er seine Nase zu Boden fallen sieht.
Der Ehemann verliert keine Zeit. Er setzt die Schere seiner Frau an die Nase. Ein weiterer Schnitt. Dasselbe Geräusch.
Das Gesicht der Frau ist blutüberströmt. Sie schreit.
Als Erste kommt Mysafirs Mutter Bedena.
»Mein Kind, was hast du mit meinem Kind gemacht?«
»Was hat dein Kind auf meiner Frau gemacht?«, erwidert der Ehemann seelenruhig.
Bedena nimmt die Schere und schneidet den Strick durch. Schreiend zerrt sie ihren Sohn zum Dorfarzt.
Derweil bückt sich die Frau, eine Hand vorm Gesicht, und sucht ihre Nase. Sie weiß selbst nicht, wozu sie sie brauchen kann. Dann rennt sie zum Haus ihrer Eltern. Blutüberströmt tritt sie vor die Mutter.
»Sie haben mir die Nase abgeschnitten. Ich bin für immer entstellt.«
Ohne die Fassung zu verlieren fragt die Mutter: »Hast du die Nase dabei, oder müssen wir zurück, um sie zu suchen?«
»Hier!« Die Tochter öffnet die Hand und hält ihr ein kleines Stück rosafarbenes Fleisch hin.
»Mal sehen, was sich machen lässt. Wie lange ist es her?«
»Vielleicht zehn, zwanzig Minuten, ich weiß nicht.« Die Tochter fängt wieder an zu schreien.
»Halt den Mund, dumme Trine. Keine gescheite Frau lässt sich dabei erwischen, wie sie’s mit dem Liebhaber treibt.«
Die Mutter verliert keine Zeit. Sie läuft in den Hühnerstall und kommt mit dem fettesten Hahn zurück. Sie nimmt die Schere und trennt ihm mit einem Schnitt den Kamm ab. Erst reibt sie die Nase der Tochter mit dem rötlichen Blut ein, das aus dem Kamm tropft, dann bringt sie sie dort an, wo sie hingehört. Sie legt einen Verband um und knotet ihn hinterm Kopf fest.
»Wenn du deine Nase wiederhaben willst, musst du vierundzwanzig Stunden so bleiben.«
»Und die Schmerzen, Mutter? Wie soll ich die Schmerzen aushalten?«
»Sie gehen vorbei. Das ist der einzige Weg, der keine Spuren hinterlässt«, erwidert die Mutter.
Nach vierundzwanzig Stunden ist die Nase an ihrem Platz. Die Narben verschwinden niemals ganz, aber die Nase ist dran.
Als der arme Mysafir zum Arzt kommt, ist bereits nichts mehr zu machen. Er wird desinfiziert und verbunden, aber eine neue Nase gibt es nicht. Der Dorfarzt ist kein Schönheitschirurg.
Mysafir wird Zeit seines Lebens ein weißes Pflaster tragen. Und er wird Barbier werden.
Nachdem sie im Dorf an unzählige Türen geklopft hat, macht sich Bedena anderswo auf Brautsuche.
»Kleinliches Pack«, sagt sie, »wegen einem Stück Pflaster.«
»Ich werde nie eine Frau finden, Mutter, ich bin ein Monster.«
»Mit deiner Lebensgeschichte, mein Sohn, bist du auf der sicheren Seite. Sie werden schon merken, dass ein Mann, dem ein Stückchen Fleisch fehlt, besser ist als einer, der auf lauter schmutzige Geschichten zurückblickt.«
Am Ende findet sich eine Braut.
Die Frau, die dank des Hahns ihre Nase zurückbekommen hat, wird noch vor Mysafir wieder heiraten.
Siebzehn
Myrto war der einzige Bruder, der überlebt hatte. Als er aus dem Krieg zurückkehrte, war er ein anderer Mensch. Ein Mensch, mit dem alle gut auskamen, alle, außer Bedena. In ihrer Hartherzigkeit sagte sie manchmal: »Der Käse ist verdorben, die Lake, die ihn frisch halten sollte, ist noch gut.« Bedenas verkümmerter Geist wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die besten Brüder ihr Leben gelassen hatten und der einzige, der davongekommen war, zu nichts taugte.
Den Schwestern und der Mutter war es ziemlich egal, was Bedena sagte. Sie hatten nicht viel mit Myrto zu tun, aber aus ganz anderen Gründen. Nach der Trennung von ihrem Oberst hatte Esma keine Lust mehr, sich mit irgendjemandem zu treffen. Für Afrodita, die sich in die Hauptstadt gerettet hatte, war Kaltra nur noch eine Erinnerung im Schatten der tausend Lichter ihres Theaters. Saba hätte ihn dagegen gerne öfter gesehen. Aber die Dinge liefen anders, es lag nicht in ihrer Hand.
Nach dem Krieg war Myrto im Dorf geblieben. Man hatte ihm angeboten, in die Hauptstadt zu gehen, um dort irgendeinen hohen Posten zu übernehmen …, sie hatten schließlich Krieg geführt. Und sie hatten ihn sogar gewonnen!
An der Aufteilung der Beute zeigte Myrto jedoch keinerlei Interesse. Ja, ich habe gekämpft, sagte er, ich habe getan, was man tun muss, wenn sie bei dir zu Hause einfallen. Aber ich bin bloß ein Bauer, was soll ich in der Hauptstadt? Und was dachte er
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